Reisegedichte stellen eine ebenso heikle lyrische Gattung dar wie das Liebesgedicht: die Fallstricke von Kitsch, Oberfläche, verlogener Metapher etc. sind evident. Da braucht es schon einiges an Könnerschaft – und Mut – sich heranzuwagen; und zu bewältigen. Gerald Jatzek bewältigt mit Bravour und Verve. Gedichte aus den frühen 70ern bis herauf ins Jahr 2010 legt er vor und evoziert vor dem inneren Auge der Leserin/des Lesers einen nicht-touristischen Betrachter, der als wichtigstes Gepäckstück eine zerfledderte Kladde mit sich führt – eine manu scriptum im besten Sinne. Aber das ist auch schon das einzige Klischee, welches sich einstellen mag.
Nicht nur über die Jahrzehnte, auch über die Kontinente sammelt Jatzek seine Eindrücke. Wenn es stimmt, dass bereits die Beobachtung die Versuchsanordnung verändert, mag das für das wissenschaftliche Experiment gelten – im vorliegenden Fall erfolgt eine sanfte Metamorphose: der Blick, der nicht durchs Kameraauge gerichtet wird, sondern sich an der Empathie orientiert, transponiert die Erfahrung in Lyrik.
Es riecht nach englischem Regen, es duftet nach Majoran und Minze, es schmeckt nach Schnaps und Fisch, Elend und Glück offenbaren sich unpathetisch und ab und zu wird es eng in der Kehle, nicht nur, weil Bahnhöfe Sehnsuchts- wie Abschiedsorte zu gleichen Teilen sind, sondern weil auch im Weggehen, im Ankommen immer eine vage Tristezza nistet.
Hütten und Paläste sieht der Reisende, zieht weiter an Nebelmorgen, ein Stück Weges begleitet vom Duft frischen Brots, Druiden und Drogensüchtige lässt er hinter sich und nachdem er die Warane besucht hat, trifft er vielleicht sogar ein Einhorn, wer weiß.
Diese Lyrik wäre aber nicht so stimmig und berührend, wenn der Autor sich auf das beschreibende Element beschränken würde, das er fraglos in aller poetischen Konzentration beherrscht: immer ist da auch ein unaufdringliches Reflektieren über das, was ihm begegnet, über das, was Gesellschaften in Momentaufnahmen von sich preisgeben.
- Veröffentlicht am Dienstag 8. Juli 2014 von Berger & Söhne, Ferdinand
- ISBN: 9783850286213
- 64 Seiten
- Genre: Belletristik, Lyrik