Notschriften-Verlag im Noteingang e.V.

Briefe aus dem sowjetischen Speziallager Nr. 1

von

Ein fünfzigjähriger Mann kehrt im Sommer 1945 heim aus Krieg und Gefangenschaft – in das Dorf der Oberlaußitz, wo er seit einem halben Menschenalter als Lehrer zu Hause war. Zwei Wünsche beseelen ihn – wieder bei den mutterlosen Tächtern zu sein und wieder in der Schule zu unterrichten.
Doch wenige Wochen darauf wird er spätabends zur sowjetischen Kommandantur bestellt – und kehrt nie wieder zurück. Die Spur führt nach Bautzen und schließlich ins Lager Mühlberg. Anfangs kommen auf Umwegen noch Nachrichten und Briefe, Besuche sind unter Schwierigkeiten möglich. Ab Januar 1946 ist das Lager bei Mühlberg von einer hermetischen Mauer des Schweigens umgeben.
Im Herbst 1948 bringt ein Entlassener die Gewißheit, dass Karl Hunger nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Fast fünfzig Jahre danach rekonstruiert die Tochter das damalige Geschehen, bezieht die Auswirkungen auf den eigenen Lebensweg ein. Sang- und klangloses „Verschwinden“ war in der sowjetischen Besatzungszone Schicksal Tausender – ohne Rechtsgrundlage, ohne Urteilsspruch. Jede heutige Bemühung ist wichtig, diesen namenlosen Toten Antlitz und Charakter wiederzugeben. Das verleiht der autobiographischen Niederschrift Sigrid Drechslers ihren weit über das Persönliche hinausreichenden Wert.