Nur Touristen

von

Görlitz

Der Koffer rumpelte über das Kopfsteinpflaster.
Für Bettina war das anstrengender als sie sich das am Tag zuvor vorgestellt hatte. Wenn der Boden eben gewesen wäre, hätte sie den Hartschalenkoffer auf seinen vier Rollen neben sich herschieben können, aber das Kopfsteinpflaster machte das unmöglich.
Wie lange war sie nicht mehr am Bahnhof gewesen? Vier Jahre?
Ihre Freundin Doro war letztes Jahr mit dem Zug gekommen. Das Angebot sich abholen zu lassen, hatte sie nach einem Blick auf den Stadtplan dankend abgelehnt und die wenigen hundert Meter zum Laden am Demianiplatz zu Fuß zurückgelegt. Am Tag der Abreise zog sie es vor, ein Taxi zu nehmen.
Ach, das wäre wirklich eine gute Idee gewesen, aber weniger als einen Kilometer mit einem Taxi zu fahren, das einen doppelt so langen Weg zurücklegen musste, erschien Bettina zumindest bis gestern als vermeidbare Geldverschwendung. Der Urlaub würde noch teuer genug werden. Bettina war nicht arm, aber der Laden warf nicht genug Geld ab, um sich unnötigen Luxus leisten zu können. Seit dem Tod ihres Mannes war das nicht besser geworden.
Die Berlinerstraße führte direkt zu Bettinas Ziel, aber gleich hinter dem an einer Straßengabelung gelegenen Gebäudes mit Bäckerei und Café, von dessen Plätzen im ersten Stock man einen Blick auf die Einkaufsstraße und ihren durch einen Brunnen markierten Beginn bis hinunter zum Postplatz werfen konnte, endete das Stadtzentrum.
Danach folgten Gebäude, für die sich in den dreißig Jahren seit dem Mauerfall noch niemand gefunden hatte, der das Geld aufbringen wollte, sie in einen für die heutige Zeit akzeptablen Zustand zu bringen. Die geheimnisvolle bis 2016 jährlich von einem unbekannten Spender überwiesene Görlitz-Million wurde für andere Gebäude aufgewandt, die näher an den touristischen Zentren der Stadt lagen und damit den vielen Tagestouristen und den Filmcrews noch mehr reizvolle Motive zu bieten.