Orientierungen – Zeitschrift zur Kultur Asiens

Vietnamesische Literatur des 20. Jahrhunderts

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Seit mehr als tausend Jahren sucht die vietnamesische Literatur nach Eigenständigkeit abseits des großen kulturellen Einflusses der ehemaligen Kolonialmacht China, was die Kreativität der Autoren immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt und ihr Selbstbewusstsein gestärkt hat. Experimentiert wurde mit eigenen Themen und Formen, bis hin zu einer eigenen Schrift, die sich aber nur vorübergehend vom Chinesischen emanzipieren konnte.

Nach der Ankunft der Europäer, vor allem der Kolonialherren aus Frankreich, konkurrierten weitere gewichtige Literaturen mit der vietnamesischen. Besonders die jungen Intellektuellen gaben sich diesem Einfluss gerne hin, konnte er doch die Übermacht des Konfuzianismus zurückdrängen. Nun setzte sich sogar eine latinisierte Schrift gegenüber den Zeichenschriften durch, was die Alphabetisierung des Landes beschleunigte. Die Schriftsteller wurden populär.

Nach einer Episode mit dem vielfach ungeliebten „sozialistischen Realismus“, melden sich seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts zahllose neue Stimmen zu Wort. Viele Jahre dominierte das Kriegsthema die Literatur, indem sich das Schicksal der Menschen und ihre Lebensbedingungen direkt oder indirekt in den Texten niederschlugen. Die neue Schriftstellergeneration hingegen beschäftigt sich mit vielen unterschiedlichen Themen. Sehr gern werden große Gefühle und große moralische Ansprüche thematisiert, denen sich die Charaktere in ihrer Individualität immer wieder stellen müssen, um von ihrer Umgebung, von Verwandten und Nachbarn, denen kein Schritt und keine Gefühlsregung verborgen bleibt, beurteilt zu werden.

Das Themenheft gibt eine Einführung in die Geschichte der vietnamesischen Literatur und stellt sieben Texte von sechs Autoren vor: einen Kurzroman, Kurzgeschichten und Auszüge aus einem weiteren Roman – alle für dieses Themenheft erstmals aus dem Vietnamesischen übersetzt.

(Themenheft 2010 der ORIENTIERUNGEN: Zeitschrift zur Kultur Asiens, hrsg. von Berthold Damshäuser und Wolfgang Kubin, Uni Bonn)