Sie hatte es ja versprochen, nun ist sie wieder da, die resolute Schwester Hedwig: als Sekretärin im „Bundesumzugsamt“, das natürlich als erstes in die Hauptstadt verlegt wurde. Das neue Umfeld ist für die Krankenschwester kein Problem, schließlich ist dort die „Pflegebedürftigkeit größer als auf jeder Station. Glaum Se dat?!?“ Aber klar, besonders wenn es sich um einen Pflegefall wie Dr. Gröbner handelt. Das Landei aus Bergisch-Gladbach ist schon damit überfordert, sein Büro zu finden – oder wenigstens das Gebäude, in dem das Gemisch aus Nazi-Muff und SED-Mief nur noch von Hunden angereichert wird, die dort „fein kacki machen“. Doch es kommt noch schlimmer: Nicht einer ihrer neuen Klientel kommt überhaupt auf die Idee, ihr mal „Mon cheri“ mitzubringen. An „ordentliches Regieren“ ist nicht zu denken. Dabei stehen so viel „Umzugsgeschädigte“ auf der Matte: Ein Alt-Sponti verlangt „Umzugsbeihilfe nach Bonn“, weil seine Wagenburg geräumt wurde; ständig kommen Beschwerden über die ewige Baustelle Berlin. Nicht nur dem unvermeidlichen Taxifahrer, auch einem (etwas überkarikierten) Punk sind „fünf Jahre Chaos-Tage“ zuviel.
Ratings Lust am Umziehen, sprich: Verkleiden, scheint so unerschöpflich wie sein Typenkabinett. Doch einige Figuren wird man wohl noch öfter wiedersehen. Etwa den unvermittelt auftauchenden Richter, der, dem „Trend zum Schnellgericht“ Folge leistend,dem Angeklagten nicht nur vor den Kopf schlägt: „Das Urteil liegt schon vor. Es handelt sich also um ein echtes Vorurteil.“ Zack! Das Zeug zur zentralen Rolle hätte auch Dr. Schäfer, doch den gibt Rating so hibbelig und kurzatmig, daß er vermutlich nach zehn Minuten hyperventilierend kollabieren würde. Dieser ebenso geniale wie irre „Amtsarzt des Volkskörpers“ verordnet dem gestreßten Dr. Gröbner eine ganz spezielle Therapie: Geklont und auf Virengröße geschrumpft, schickt er ihn auf eine Reise durch den eigenen Körper, wo sich ungehindert Zellen vermehren, die nur noch aufs eigene Wachstum aus sind, und die Kumpels, die schwer im Magen-Darm-Trakt schuften, bis zum Hals in der Scheiße stecken, während im Gehirn die meisten Zellen längst leer oder von Alkohol vernebelt sind und die Gefühle hinter Gittern sitzen.
„Schön, wenn man sich von so ’ner Figur befreien kann“, sagt Rating am Ende. Noch schöner, daß er solche Figuren so locker und komisch verkörpert. Am schönsten, daß er die Umzugsgeschichte lediglich als Aufhänger für seine metaphorische, ja physische Polit-Bestandsaufnahme nutzt, und die wiederum raffiniert als Tarnung für die Anregung, gelegentlich mal „in sich zu gehen“ und im Hirnkasten das Stübchen für die eigenen Gedanken aufzusuchen. Dorthin, wo sich nicht bloß bei politischen Hohlköpfen Spinnweben angesetzt haben. Sondern auch gerade bei Leuten, die sich von Kabarettisten unter anderen Vor- und Querbetern alles vordenken lassen und die zum Lachen in den Keller gehen. Doch das ist im Mehringhoftheater eben anders. Und bei Arnulf Rating sowieso. (Ludwig Lang)