Prag Mitte Transit

von

August 1968: Einmarsch der
Truppen der Sowjetunion und anderer Warschauer-Pakt-Staaten in die
Tschechoslowakei, um der politischen Bewegung des „Prager Frühlings“ ein gewaltsames Ende zu bereiten.

Für Eckard, Dozent an einer ostdeutschen Universität, seine Frau Edith und ihre Freunde Pierre, dessen Frau Katharina, den jungen Historiker Wolf und andere, die sich trotz wachsenden Drucks des DDR-Staates gegen jede politische Opposition zu wehren suchen, bedeutet dies die Vernichtung letzter Hoffnung auf freiheitliche Entwicklungen in den sozialistischen Diktaturen Mittel- und Osteuropas. Die erhellende
Wechselseitigkeit von Freiheit durch Wahrheit und Wahrheit durch Freiheit war
für sie alle in Prag greifbar gewesen. Im Herbst 1968 befreunden sich Eckard
und Edith mit Václav Kohout, einem jungen tschechischen Germanisten, der bei
dieser Gelegenheit seine zukünftige Frau Helgard, eine Kollegin von Eckard,
kennen lernt und später heiratet. Václav ahnt nicht, dass Helgard als IM Monika
auch über seine politische Gesinnung denunzierend berichtet hat. Eine Wahrheit,
die auch Eckard und Edith erst 25 Jahre später entsetzt erfahren.

Auf verschiedenen Erzählebenen führt der Autor uns durch das Leben der Protagonisten bis in die aktuelle Wirklichkeit. Im Epilog erscheint der politische Umbruch von 1989 mit dem Ende der Diktatur wie eine Krönung des Widerstandes von 1968. Prag als geschichtsträchtiger Ort europäischer – geistiger und existenzieller – Mitte wird im Romangeschehen immer wieder ins Bild gesetzt, vermittelt zudem als Erlebnisraum zwischen den Erzählebenen der Zeitläufte nach 1968. Das magische Milieu der Stadt öffnet – nicht zuletzt durch die Präsenz von Kafkas Texten und Lebensspur – eine Bühne der Surrealität und überzeitlichen Absurdität: Sie findet ihre besondere Kristallisation auf der den ganzen Text überlagernden Ebene der Gleichnisse vom fiktiven Volk der Kaskadier. Diese kleinen Texte bewirken nicht nur eine Bindung zwischen den gebrochenen Erzählsträngen einzelner Episoden, sie
verschaffen dem Leser zugleich Zwischenräume für zeitgeschichtliches Reflektieren.

Der Roman Meinholds stellt ein Formexperiment dar, das die geschichtliche Neugier des Lesers für ein einzigartiges, hochdramatisches wie folgenreiches Geschehen im Zentrum des 20. Jahrhunderts wach hält.

Gottfried Meinhold
1936 in Erfurt geboren, dort Schulbesuch, Abitur und Lehrerstudium am Pädagogischen Institut. 1959 Examen als Dipl.-Phil. an der Universität Jena, 1964 Promotion an der Humboldt-Universität Berlin. Ab 1964 Tätigkeit an der Universität Jena; 1968 Habilitation, 1971 Dozent für Phonetik und Sprechwissenschaft; 1985 a. o.
Prof.; 1990-93 Prorektor, 1993 Lehrstuhl für Phonetik und Sprechwissenschaft,
2001 Eintritt in den Ruhestand. Zahlreiche fachwissenschaftliche und literarische Publikationen.