Ränke unterm Rautenkranz

Die großen Affären Sachsens und Thüringens

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Polizeikommissar Friedrich Rudolphi klopfte sich den Staub vom Rock. Stundenlang hatte er das schon lange nicht mehr gesichtete Gesamtarchiv in Wittenberg, der alten Hauptstadt des Herzogtums Sachsen, geordnet. Er hätte also gehen können, um diesen trockenen Junitag des Jahres 1685 mit seiner jungen Eheliebsten Juditha Sophia feuchtfröhlich abzuschließen.
Vielleicht war er bereits an der Tür, als sein Blick auf ein großes Fass mir dem herzoglich-sächsischen Wappen, dem Schrägbalken mit Rautenblättern, fiel. Es war ein so genanntes s Schlagfass, worin gewöhnlich Waren verschiedener Art, auch Bücher und Papiere, aufbe-wahrt und versendet wurden. „Aus Curiosität“, berichtete er später, habe er sich an die ein-gepackten Akten gemacht, zumal sie überschrieben waren: „Brieffschafften, welche anno 1629 durchsuchet, aber von keiner Wichtigkeit befunden worden.“
Fast in der Mitte des Fasses gelang ihm ein sensationeller Fund: Weit über 200 Jahre alte Fehdebriefe im Original, ebensolche Urteile von Schöffen-, damals Schöppenstühlen, ein offizielles Schreiben des Kurfürsten Friedrich des Sanftmütigen an die Stände des Reiches. Es handelte sich, wie ihm schnell klar wurde, um Dokumente über den einst so dramatischen Fall des Kunz von Kauffungen, über den sächsischen „Prinzenraub“, den manche Autoren „vor wenigen Jahren aus nichtigen und erdachten Gründen“, schrieb Rudolphi, ganz und gar in Zweifel ziehen wollten.
Ein Glücksfall? Insofern schon, indem wir uns keinen besseren Schirmherrn für das Vorha-ben vorstellen können, sozusagen ein noch viel größeres Fass aufzumachen. Wir wollen den spektakulärsten Affären in der über Jahrhunderte gemeinsamen sächsisch-thüringischen Geschichte nachgehen. Dabei, so gut es geht, Aktenstaub entfernen, um Hintergründe auf-zuzeigen oder auch Verfälschungen aufzudecken.
Bei dieser Reise durch ein dreiviertel Jahrtausend soll uns Kommissar Rudolphi, der auch Lehen- und Archivsekretär von Sachsen-Gotha war, ein klein wenig begleiten – wie ihn sich der Illustrator Günter Binder ausgemalt hat. Natürlich war ihm wie dem Autor bewusst, dass dem Altvordern kein ewiges Leben beschert war; er starb 80-jährig 1722, und zwar hochge-ehrt, nachdem er als Geschichtsschreiber eine zweibändige Gotha diplomatica gemeinsam mit Schwiegersohn Johann Edler von Gleichenstein herausgegeben hatte. Für uns jedoch sei er als Ahnherr all jener unsterblich, die auch dort finden, wo niemand sucht.
Übrigens teile Rudolphi nach seinem Aufsehen erregenden Fund noch mit, dass er diese Kauffungische Acta in ein absonderlich darzu gemachtes Kästlein geleget“, bevor das Archiv 1802 aufgelöst wurde und die zusammengehörigen Akten nach Weimar kamen. Also schau-en wir mal. Lüften wir den Rautenkranz.