Rätsel Stephansdom

Das vollkommene Ganze und seine unvollendeten, bruchstückhaften Teile

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Der Wiener Stephansdom ist vielleicht unter allen Fragmenten, die Österreichs Kultur je hervorgebracht hat, das zur höchsten Vollendung gelangte.
Der allseits bewunderte, riesige Bau steckt dennoch voller Widersprüche und Vergeblichkeiten im Lauf seiner Geschichte.
Das Wunder des Südturms, das zeichenhaft für die ganze Domkirche steht, erscheint makellos gelungen, trotz ständig wechselnder Baugerüste, Verkleidungen und geschickt angebrachter Reklameschriften.
Sein gekappter Zwilling, der renaissancebehelmte Nordturm, mahnt nichtsdestoweniger seinen Anteil an der Fragmentgeschichte ein.

„Die fahlen, weißen Wolken treiben unter der schwarzen Himmelsdecke gegen Nordost. Jetzt stößt ein Falke vom Turm ab und segelt mit reglosen Schwingen schräg zum Stock-im-Eisen-Platz hinüber.
Nördlich und westlich hellt es sich auf. Das Abendlicht bricht durch die Wolkenschlitze. Der Himmel über dem steilen Kirchendach spielt ins Weißgraue.
Achtzehn Uhr zwanzig. Der Falke, wieder von Nord im obersten Turmstück auf einer Krabbe landend.
Ein zweiter Falke umkreist die funkelnde Spitze, rüttelt gegen den starken Wind, lässt sich blitzschnell fallen, kreist, kommt wieder außer Sicht.“