Reihe Literatur

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9 Kilo hat die ungarische Autorin Zsuzsa Selyem ihren neuen Roman genannt. Diesem bewusst trivial ausgewählten Titel setzt sie provokativ im Untertitel den Hinweis auf den Psalm 119 aus dem Buch der Psalmen entgegen. Auf der einen Seite ein Gewicht von 9 Kilo, auf der anderen Seite der Psalm 119 mit seinen 22 Strophen, die den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets zugeordnet sind. Ihre Sprache schwankt zwischen einer metaphernarmen Alltagssprache, wissenschaftlichen Hypothesen über die Beschaffenheit dieser Welt, theologischen Reflexionen, Tagebucheintragungen und poetischen Passagen, in denen die inneren Gefühle der Protagonisten zugleich gelogen und wahr zu sein scheinen.

Abrupt setzt die Erzählerin persönliche Erfahrungen, mathematische, philosophische und religiöse Reflexionen über Judentum und Christentum nebeneinander und schafft so eine komplexe Struktur, die mit leiser Ironie, jedoch nie verbittert, den Zusammenbruch einer Epoche aufdeckt. Innere Monologe, Dialoge von Menschen, die nicht zueinander finden, Träume, Gedichtfragmente und unerfüllte Liebesgeschichten: Dies alles spielt sich im Niemandsland osteuropäischer Städte ab, in einer von der Amnesie des Post-Kommunismus beherrschten Zeit, in der weder das Gesetz Gottes, noch die sinnliche Liebe mehr möglich sind.

Innerhalb der gegenwärtigen ungarischen Literaturszene, die fast ausschließlich von Männern dominiert wird, erhebt sich mit Zsuzsa Selyem eine singuläre weibliche Stimme, deren Differenz sich zweifelsohne mit ihrem Roman 9 Kilo, – der parallel zur deutschen Ausgabe in ungarischer Sprache in Cluj, Rumänien, erscheint – behaupten wird.

Mit freundlicher Unterstützung des Übersetzerfonds der Stiftung Ungarisches Buch