Reisen hüben und drüben

Erinnerungen

von

„Mit diesem anspruchslosen Titel berichtet Albert Steffen mehr als mancherlei eindrückliche Reiseerlebnisse. Es ist das letzte aphoristisch-erzählende Buch mit selbstbiographischem Charakter, das er vor seinem Tod zum Druck vorbereitet hat und das postum erschienen ist. Das Hüben und Drüben ist für ihn das Hier und Dort, Diesseits und Jenseits.
Was als Grundmotiv sein Schaffen bestimmte – durch den frühen Tod seines kleinen Bruders und die Erlebnisse im elterlichen Landarzthaus veranlagt -, das Geheimnis des Todes denkerisch und dichterisch zu ergründen, immer wieder von anderer Seite her, ist mit diesem Abschiedsbuch als Vermächtnis herb schweizerisch einfach zum Hüben und Drüben geworden.
Im ersten Teil: ‚Ende der Dieseitsfahrten‘ schildert er Reise- und Kunsterlebnisse mit seiner Lebensgefährtin, knapp, prägnant, die in der Erinnerung nach dem Tod seiner Frau sich objektivieren, wandeln, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer mehr ineinander verwebend. Für sein geschultes und verinnerlichtes Schauen bekommen Dinge, auch scheinbar subjektive, nebensächliche, im grossen geistigen Strom ihre Bedeutung, ihren Sinn.
Italien, das er um seiner Kunst und Schönheit willen immer wieder mit seiner Frau besucht hat, erfüllte ihn im Alter mit Wehmut, was besonders in seinem Venedig-Erlebnis zum Ausdruck kommt: Venedig, die schönste Stadt der Welt, beseligt zwar die Menschen, aber nur an der Oberfläche des Seins. die golden scheinenden Häuserfassaden, vom Meer her betrachtet, sind Kulisse einer noch künstlich aufbewahrten Kultur. Die Welt ist nicht mehr so, wie der schöne Schein auf dem Markusplatz sie vorspiegelt.
Daß das 20.Jahrhundert einen neuen Kulturimpuls verlangt, beschäftigte Albert Steffen von jung an. Er weist an einer anderen Stelle darauf hin, daß menschliches Schicksal zwischen Geburt und Tod schon genug meisterhaft dargestellt worden sei. Auch habe es keinen Sinn, Oedipus oder Othello nochmals zu schreiben. Seine Aufgabe sah er darin, weiterzutasten über den Tod hinaus und vor die Geburt zurück, um durch diese Erweiterung scheinbare Sinnlosigkeiten zu erhellen.
Darum nennt Steffen den mittleren Buchteil: „Beginn der Jenseitsfahrten‘. Subtil erzählt er von seinem Verweilen im eigenen Garten in Gedanken an die Verstorbene, wodurch frühere gemeinsame Pflanzen- und Farberlebnisse immer inniger und objektiver empfunden werden, so daß dieses intime Wahrnehmen im dritten Teil, ‚Kosmische Erkenntnisse, aus irdischen Erlebnissen erworben‘, Erfahrungen des persönlichen Schicksals zu allgemein gültiger Perspektive erweitert.
Da und dort kommt Steffen zu einem ähnlichen Schluß wie C.G.Jung in seinem Rückschaubuch, zum Beispiel, daß Verstorbene den Lebenden Aufgaben anvertrauen wollen, die sie selber nicht mehr erfüllen konnten.
Immer wieder spürt man die tiefe Frömmigkeit Albert Steffens. Für ihn ist durch Christi Tod und Auferstehung etwas ganz Neues in die Welt und in das menschliche Schicksal eingezogen, das den Mut zum Leben und zum Tod gibt. So österlich sind auch die dreizehn Farbskizzen Steffens, die den Band bereichern, einfach, froh in Form und Farbe.“ (Margrit Kaiser-Braun in „Der Landbote“, Winterthur, 26.3.1964, Sonntagspost)