Religion in der Gesellschaft

Studien zur Religion in der Schweiz

von

In der religionssoziologischen Tradition von Durkheim und Parsons wird Religion auf das Problem gesellschaftlicher Integration bezogen. Eine Gegenüberstellung mit anderen Theorietraditionen kann zeigen, dass damit ein Problem im Verhältnis von Individualität und Sozialität – deren wechselseitige Konstitution – gelöst werden soll, ohne es angemessen zu formulieren.
Bezogen auf dieses Problem kann der Religion in der Moderne, d.h. unter den Bedingungen verselbständigter, unter je eigenen Rationalitäten prozessierender Handlungssysteme, nicht (mehr?) eine Integrationsfunktion der Art zugeschrieben werden, den Individuen eine gemeinsame oder eben gesellschaftlich geteilte Weltsicht oder Moral zur Verfügung zu stellen. Vielmehr ist ihre Bedeutung darin zu sehen, dass sie den einzelnen eine Möglichkeit bietet, ihre Besonderheit zu präsentieren und gleichzeitig zurück zu nehmen. Religion kann somit zur Reflexion der Individualität eingesetzt werden, als persönliche, individualisierte Religiosität. Auf der anderen Seite – und gleichzeitig – ermöglicht sie in ihren konkreten Sozialgestalten eine soziale Abstützung dieser Individualität, d.h. eine Darstellung von Differenz.
Vor diesem Hintergrund wird in vier empirischen Kapiteln die Dynamik religiöser Milieus in der Schweiz verfolgt:
1. die Individualisierung der Religion als Auflösung der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert formierten konfessionellen Milieus, als Neuformierung religiöser Semantiken und sozialer Neupositionierung religiöser Mitgliedschaften
2. die Entstehung des politischen Katholizismus als einer Reaktion auf die Modernisierung der Schweiz im 19. Jahrhundert, seine Auflösung in einem Prozess intrakonfessioneller Individualisierung und die Bildung neuer religiös-politischer Konfliktlinien
3. die Dynamik von familialer Lebensform und Milieuzugehörigkeit, die sich als rekursiver Prozess wechselseitiger Selektion rekonstruieren lässt
4. die Bedeutung der Religion als Lebensstilelement bei der Formierung neuer Milieus.
In allen diesen Hinsichten wird deutlich, dass eine Integrationsfunktion der Religion nicht in der Konstruktion eines heiligen Baldachins bestehen kann, sondern in der – durchaus kontingenten – Weise, in der sie – mit durchaus ambivalenten Resultaten – in ihren aktuellen Sozialgestalten Individualisierung und Selbstthematisierung mit der Bildung und gegenseitigen Abgrenzung partikularer Sozialzusammenhänge verschränkt.