Reportagen aus der Ferne

Augenzeugenberichte aus Nachkriegs-Bulgarien

von

In einer seiner „Reportagen“ erwähnt Markov, dass man beim Anhören altbulgarischen Kirchenmusik eine Vorstellung davon bekommt, was „das wahre, das ewige Bulgarien“ vorstellte. Seine „Reportagen“ befassen sich mit Umständen und Entwicklungen, die das Land seinem besten Erbe entfremdeten.

Im Sommer 2013 hat Wolf Oschlies für den Wieser Verlag sieben Reportagen von Markov übersetzt und kommentiert. Markov ist Bulgare, und wir nutzen sein Werk zu einem repräsentativen Porträt Bulgariens in kommunistischer Zeit. Es beginnt mit Markovs „Röntgenbild“ des Bulgarischen Schriftstellerverbands, der ob seines Reichtums und der Privilegien seiner Mitglieder in Osteuropa eine Sonderstellung innehatte. Es geht weiter mit der bulgarischen Ablehnung des erzwungenen Personenkults, der sich vor allem an dem 1949 nach sowjetischen Muster erbauten Mausoleum für Georgi Dimitrov manifestierte, dessen Sprengung am 21. August 1999 Markov nicht mehr miterleben durfte.

Zweitens folgt ein Kapitel „Die Liebe zum großen Bruder“, also über das Verhältnis der Bulgaren zu Russen und/oder Sowjets. Nach der Wende hat Želju Želev, von 1990 bis 1997 Präsident Bulgariens, den Bulgaren immer wieder eingeschärft, ihre traditionelle Russophilie sei ein Entwicklungshindernis, denn sie verhindere die Blickumkehr zum Westen und die Übernahme westliche Werte, die Bulgarien noch nötiger als andere postkommunistische Staaten benötige. Auch Markov wurde rundheraus böse, wenn er auf bulgarische „Russophilie“ zu sprechen kam, und wir wollten gerade auf diese Passagen nicht verzichten.

Wir setzen unsere Markov-Auswahl fort mit drei Porträt-Kapiteln. Eines zur bulgarischen Reaktion auf Stalins Tod, das durch seine milde Boshaftigkeit besticht, und eines zu Valko Cervenkov (1900–1980), dem ehemaligen Parteichef, der ein seltener Narr war. Weiter geht es mit „Begegnungen mit Todor Živkov“, einer Zusammenfassung mehrerer Texte zum selben Thema, was auch die Länge dieses Kapitel von über 50 Seiten erklärt. Wie weiter oben bereits erwähnt, verblüfft das Kapitel durch seine zurückhaltende, gelegentlich gar positive Einschätzung Živkovs. Und wo der Autor scharf gegen diesen polemisiert, da irrt er mitunter.

Die Wieser-Auswahl Markovs schließt mit dem Kapitel „Gelächter als Rettung“, ein kurzes, aber ausnehmend schönes Stück, dass dem Witz gilt – weniger dem Witz als pointiertanonymer Textform, wohl aber dem Witz als Synonym für Verstand, Schläue, Intelligenz.