Mit ihrem Gedichtband „Riechst du wie der Nebel schreit“ stellt sich Sophie in eine Tradition, bei der die Klänge der Sprache eine bedeutende Rolle spielen. Meist wird auf die Zikaden als Sänger oder als Sinnbilder für Musik und aber auch als Lärmverursacher hingewiesen. Die sogenannten Singzikaden und ihre Gesänge werden bereits in den frühesten Werken der Antike erwähnt. DieAspekte der griechischen Zikaden Mytholgie sind in dem „Gedicht“ An die Zikade“ von Anakreon verarbeitet. Der melodische Rhythmus von Reyers Gezwitscher spannt sich von den russischen Konstruktivisten um Majakowski zur Wiener Schule bis zum Hip-Hop. Unterschiedliche Themen werden erzählt, von Missbrauch über Abschied bis hin zu Tod und Neubeginn. Auch die Kindheit ist eine sehr wichtige literarische Inspiration für Reyers Texte und taucht gleichsam leitmotivisch immer wieder auf. Die Syntax ist gebrochen, die Metaphern eigen. Die Sprache hantelt sich am Rhythmus und Klang des Wortes entlang und legt ihren Fokus auf das Lautliche, sodass man an Strömungen wie „spoken word poetry“ erinnert wird. Der Band steht für Neubeginne, für alles, was sich häutet, politischen Widerstand leistet, was sich abschält und verwandelt. Formal sind die Arbeiten sehr unterschiedlich, schwanken zwischen völlig reduzierten Zweisatzgedichten und langen, epischen Betrachtungen. Insgesamt aber erinnert Reyers Lyrik an den Begriff des „Destillats“, weist eine kondensierte Machart auf und wirkt so schlank und reduziert, dass viele Leerstellen in den Köpfen der Leser verbleiben (müssen). Der Raum entsteht durch die Elemente, die hier fehlen, durch die Bruchstücke, das Fetzenhafte – kein Wunder, geht es doch oft um Erinnerung, die, wie wir alle wissen, stets nur in einzelnen „Fetzen“ möglich ist. Wie auch immer, Reyers Texte suchen und umkreisen diese Leerstellen, begeben sich auf eine Reise aus Sounds in Raum und Zeit und verlieren nie den Mut.
- Veröffentlicht am Donnerstag 10. Oktober 2019 von Edition Art & Science
- ISBN: 9783902864970
- 212 Seiten
- Genre: Belletristik, Lyrik