Rodina

von

Der Wunsch nach Geborgenheit und Zugehörigkeit ist eines der beherrschenden Gefühle. Jeder sehnt sich nach Heimat, wenn aber die Kindheit vorbei ist, findet man sie nur noch und meist unverhofft in der Erinnerung, egal, ob man geblieben oder gegangen ist.

Irina Ruppert ist im Alter von sieben Jahren mit ihrer Familie von Kasachstan nach Deutschland gekommen. Jetzt, Jahrzehnte später, zieht es sie Richtung Osten. Instinktiv, immer wieder. Wegen der Erinnerung – oder einer Ahnung davon.

Wie der Heimatbegriff sind auch die Bilder in RODINA – unfassbar, flüchtig, radikal subjektiv. Zwei Jungs brettern mit ihrer Seifenkiste die Dorfstraße hinunter, die hügelige, weich beleuchtete Landschaft erstrahlt in sattem Grün. Im Suppenteller liegt ein Hühnerfuß, ein Mann schwingt die Sense auf dem Feld, ein kleines Mädchen steht vor einem kleinen Haus mit einem großen Kreuz an der Fassade, Oma sitzt in der dunklen, einfach eingerichteten Stube am Fenster, ein Junge unterbricht die Fahrt auf seinem viel zu großen Fahrrad, um Zwiesprache mit einer Ziege zu halten.

So erfahren wir in dem Buch wenig über das heutige Leben in Osteuropa aber viel über die elementaren Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen, die ein Leben prägen. Dass die Bilder im Auge des Betrachters durchsichtig werden und der Rahmen sich mit eigenen Erinnerungen füllt, das, glaube ich, ist die besondere Qualität von Irina Rupperts Fotografien.

Etwas erzählen die Bilder aber doch über eine Region, die gerne mit Armut, Alkoholismus und Krankheit assoziiert wird: Es gibt dort Schönheit, Würde, Zuversicht und Hoffnung. Und die Räder des Fortschritts drehen sich langsamer. Sonst hätte Irina Ruppert ihre Bilder nicht gefunden.