‚Rote Universität‘

Studentenbewegung und Linksopposition in Belgrad 1964-1975

von

Im Juni 1968 demonstrierten die Belgrader Studierenden und viele ihrer Professoren für Freiheit und soziale Gerechtigkeit im Sozialismus. Die von ihnen besetzte Hochschule benannten sie in ‚Rote Universität Karl Marx‘ um. Der Streik erschütterte für einen Moment die jugoslawische Gesellschaft. Tito und der innerste Führungszirkel des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens erwogen einen repressiven Militäreinsatz, fürchteten aber, dass dieser nur Öl ins Feuer gießen könnte.
Die Proteste in Jugoslawien zeichneten sich durch eine wahrscheinlich einmalige Spezifik aus. Denn die Bewegung richtete sich nicht frontal gegen das herrschende System. Im Gegenteil: Ihre subversive Sprengkraft bestand in der kategorischen Forderung, die Versprechungen der jugoslawischen Kommunisten auf eine radikaldemokratische (Arbeiter)-Selbstverwaltung und einen ‚Dritten Weg‘ jenseits von Stalinismus und Kapitalismus tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Dabei integrierte sie Elemente des globalen 1968 aus Ost und West.
Durch das Prisma der Analyse dieser bisher kaum beachteten Protestbewegung bietet Boris Kanzleiter aus historischer Perspektive tiefe Einblicke in die emanzipatorischen Potenziale des jugoslawischen Sozialismus, aber auch in seine strukturellen Probleme und Widersprüche.