Rübezahl spielte links aussen

Erinnerungen eines Politischen

von

Der Autor erinnert sich an seine Jugend als Heimkind, zuerst unter der Fuchtel katholischer Nonnen, die Bettnässer mit Schlägen und Gebeten ›heilten‹, dann im evangelischen Kinderheim, geführt von einem ›Jünger Pestalozzis‹, der aber alles mit Füssen tritt, was der grosse Pestalozzi gelehrt und gelebt hat, und der seine tyrannisch geführte Anstalt als einträgliche Fabrik für Kinderarbeit betreibt. Rueb beschreibt eine Hölle selbstgerechter, schwarzer Pädagogik in beklemmender Bildhaftigkeit und ohne Selbstmitleid, aber auch mit Humor und Zärtlichkeit und Sinn für die poetischen Momente, die es dort auch gab. Der junge Rueb ist rebellisch, einer, der sich nicht fügen will, ein ›fremdes Element‹, wie der Heimleiter sagt, einer, der immer wieder Wege und Nischen zum Widerstand findet. Fussball zum Beispiel. Das proletarische Mannschafts- und Kampfspiel, das nicht mehr braucht als zwei Füsse und einen Ball. Der Obrigkeit ist es verhasst, ist es doch ein Freiraum, der sich ihrer Kontrolle entzieht. Der sagenhafte Rübezahl, der Berggeist, bewegt seine Fantasie, wird zu seinem geheimen Verbündeten, seinem zweiten Ego. Er erfindet eigene Rübezahl-Geschichten und unterhält damit die Heimzöglinge. Erzählen als eine Form von Widerstand. So schafft er sich seinen Ruf und einen neuen Namen – Rübezahl. Er wird ihm sein Leben lang bleiben.
Rübezahl wird politisch, erkennt sein Redetalent, nimmt Teil an der Aufbruchstimmung und den politischen Unruhen der Sechzigerjahre. Er wird Mitglied der kommunistischen Partei der Arbeit, bald auch Redaktor der Parteizeitung ›Vorwärts‹, Funktionär und schliesslich Kantonsrat. Gleichzeitig wird er Gallionsfigur der Demonstranten auf der Strasse. Er selbst steht zwischen vielen Fronten, angefeindet von rechtschaffenen Spies-
sern, Sektierern der Ausserparlamentarischen Opposition und den bürokratischen Beton-
köpfen der eigenen Partei. Die ebenso allgegenwärtigen wie unbedarften Staatsschützer, führen pedantisch Buch über sein Leben. Die Fleissarbeit der Spitzel ist ihm heute zur willkommenen Erinnerungshilfe geworden.
Seine Aufzeichnungen sind autobiografisch, aber keine Autobiografie. Erlebnisberichte wechseln sich chronologisch ungebunden ab mit Essays und Reflexionen über die Wahrheiten, die Kämpfe, aber auch die Schlagworte und Irrungen jener Zeit. Er erzählt sie leidenschaftlich, selbstkritisch der Wahrheit verpflichtet. Ein Stück Schweizergeschichte und zugleich die Geschichte eines glücklichen, fruchtbaren Scheiterns. Eines Scheiterns, das mithalf, die Gesellschaft zu wandeln – von Grund auf und unwiderruflich.