Spiegelbild

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Niemand, niemand darf merken… Sie, das zweite der beiden Kinder wagt nicht, nachzufragen. Dunkle, böse Ahnungen hinterlassen ihre Spuren in ihrer Seele, lähmen und prägen sich tief ein. Auch sie fühlt sich bedroht, wird immer stiller, zieht sich zurück, äußert sich nicht mehr unbefangen, verhält sich kontrolliert und unauffällig, ist stets wachsam, vorsichtig, scheu.

Die frühen Erfahrungen und die Ideologien des 3. Reiches, auch die Erlebnisse des Krieges lösen bei der 93-Jährigen jetzt wieder bedrängende Fragen aus. Für die eigene berufliche Tätigkeit hatten Sozial- und Humanwissenschaften, auch die Theologie, einen wertvollen Hintergrund geboten. Doch die frühe, tiefliegende existenzielle Betroffenheit hatten sie nicht aufzulösen vermocht. Der alte Drachen lebt.