Stille Wasser

von

Schon wieder Blitz und Donner, Erdrutsche, reißende Bäche und Tornados – die Meldungen über Umweltkatasrophen nehmen zu – auch in Europa …
Wie werden kommende Generationen damit umgehen, wenn heute nicht gehandelt wird? Was passiert, wenn der Meeresspiegel weiter steigt und ganze Regionen unter Wasser setzt? Die große Flut alles überrollt?
Die Autorin hatte eine Vision …
Was würden die Menschen tun, würde morgen das große Wasser überall auf der Welt höher und höher steigen? Wie würden sie sich organisieren, wie miteinander umgehen? Einzelne Einblicke vermitteln hierzu knapp ausgewählte Leseproben.

VORWORT
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es zunehmend mehr Klimaveränderungen in allen Teilen der Erde.
Es begann alles ganz unspektakulär, heftige Wetterkapriolen fanden in allen Erdteilen statt und hörten nach einiger Zeit wieder auf. Die entstandenen Schäden wurden von Privat oder Staat repariert, und das Leben ging nahezu normal weiter. Kaum jemand sah den Menschen als Verursacher dieser wechselhaften Zustände an. Einige Grüne betrachteten zwar die Kraftwerke aller Art, die in allen Erdteilen heiße Abgase in die Luft bliesen, oder die Milliarden Autos und Millionen von Schiffen, die rund um die Welt dasselbe taten, als wesentliche Mitverursacher, andere gaben den Milliarden Kühen, die die Menschheit ernährten, und besonders ihrem CO² enthaltenden Auspuff die Schuld.
Von Änderungen zum Positiven, das heißt zur Verringerung der Erderwärmung, war selten die Rede.
Doch die Veränderungen nahmen zu. Wer sehen wollte, konnte sie sehen und auch fühlen.
Im Folgenden wurden Presse- und Fernsehmeldungen aus deutschen Medien des Jahres 2015 zusammen-getragen, die aus allen Teilen der Erde berichteten und folgendes Bild zeigten. Da sie in sehr verschiedenen Stilen und Formen Darstellung fanden, wurden sie hier nicht wörtlich zitiert, sondern in Erzählform ge-bracht.
Einige der angegebenen Daten scheinen schier unmöglich, sie wirken wie Tippfehler der Korresponden-ten. Sie wurden trotzdem übernommen, denn die Leser der betreffenden Presseerzeugnisse mussten ja auch mit ihnen fertig werden, zum Beispiel mit der Meldung, dass seit der Einführung des Klimaschutzes der CO²-Ausstoß in der Welt um 80 % gestiegen war. Oder dass 2015 das heißeste Jahr seit 150 Jahren war. Auch, dass der Montblanc pro Jahr um 150 Meter schrumpfte. Europa in den Medien 2015
In den ersten Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts stieg die Erdtemperatur in Europa jedes Jahr. Warnende Stimmen sagten allerdings, dass die Schäden irreparabel sein könnten, sollte die Erderwärmung nur um Bruchteile eines Grades zunehmen.
In Europa traten alle großen Ströme immer mal wieder über die Ufer. Die Überschwemmungen richteten umfangreiche Schäden an Gebäuden und Uferbefestigungen an. Aber die Versicherungen kamen für die meisten Schäden auf, die Regierungen ließen die Ufer erhöhen. Im folgenden Jahr blieben dieselben Flüsse fast alle trocken. Also kein Grund zur Besorgnis, nur typische Kennzeichen des sich ganz langsam ändernden Weltklimas.
Auch an der Riviera gab es derart heftige Überschwemmungen, verursacht durch tagelange Wolkenbrü-che, dass Menschen und Autos ins Mittelmeer geschwemmt und die berühmten Badeorte Cannes, Nizza und andere zum Notstandsgebiet erklärt werden mussten. Die Überschwemmungen trugen zum Katastrophentourismus bei und waren eher chic und einträglich.
Anders verhielt es sich mit der großen englischen Stadt York, in der schon die alten Römer und Wikinger Zeugnisse ihrer Baukunst hinterlassen hatten. Nachdem alle gegen Hochwasser errichteten Dämme an Weihnachten 2015 gebrochen waren, standen so große Teile der Stadt unter Wasser, dass eine Versorgung der Menschen dort nur noch aus der Luft möglich war.

Irgendwann – Jahre später

FAMILIE BORG AN DER OSTSEE
Etwa sieben Jahre später kam Fischer Malte Borg eines Abends wie fast jeden Tag vom Fischfang zurück. Heute brauchte er eine ganze Weile, bis er seinen Fischereihafen an der dänischen Ostseeküste fand. Was nicht nur an der anbrechenden Abenddämmerung lag, auch nicht an seinem Zustand.
Endlich konnte er die hell erleuchteten Fenster zwischen den Bäumen sehen. Sein Herz und sein Magen zogen ihn mit starker Macht auf sie zu. Als er die Haustür aufstieß, rief seine Frau Linda aus der Küche: „Da bist du ja! Wir machten uns schon Gedanken. Gab’s Probleme?“
„Außer dass ich eine Ewigkeit brauchte, bis ich einen Festmacherpflock für das Boot fand, der noch aus dem Wasser heraus ragte und ich dann eine Weile in kniehohem Wasser mit den Füßen nach der Straße suchen musste, war nichts. Als ich sie dann endlich hatte, musste ich bei jedem Schritt tasten, sie nicht zu verlieren. Ach, und die Fische haben auch nicht gebissen. Die mögen wohl kein verdünntes Wasser.“
„Zieh dir schnell die nassen Sachen aus, und dann komm essen. Ich geb’ dir eine Extraportion.“
Als sie endlich beisammen am Tisch saßen, erzählte Linda: „Im Fernsehen haben sie schon von dem Hochwasser berichtet, halb Jütland soll schon unter Wasser liegen. Aber da heutzutage in jeder Nachricht eine Katastrophenmeldung vorkommen muss, damit wir überhaupt einschalten, haben wir das nicht so ernst genommen.“ …

DIE WOHNWAGENGEMEINSCHAFT IN DEN BERGEN
Einige Jahre später sehen wir die Borgs in einem neuen großen elektromobilen Wohnwagen mit Anhänger auf der Alpenstraße in Österreich. Sie waren auf dem Weg zu Lindas Eltern. In der Zwischenzeit hatte sich alles, ja man kann sagen, ihr ganzes Leben verändert.
Vieles war in ihrem Teil Dänemarks zusammengebrochen: der Schulunterricht, die Krankenbetreuung und -versorgung waren eingestellt worden. Märkte funktionierten nicht mehr. Große Küstenabschnitte waren einige Meter überflutet. Die Gemeindeverwaltungen, ja der Staat überließen es den Bürgern, sich um sich und ihre Familien zu kümmern. Viele andere Institutionen waren ebenfalls geschlossen worden – ihnen war das Volk davongelaufen, vielleicht waren sie auch die Schnelleren beim Davonlaufen. …

… Die Umstehenden hatten auch allesamt große Wohnmobile und unterschiedliche Arten von Anhängern.
„Wir sind aus Bayern, Hessen, Thüringen, Niedersachsen und Mecklenburg. Wir haben uns vor sechs Monaten zusammengefunden“, sagte der Ältere der sechs Männer. Zuerst waren wir noch mehr Familien, aber es war schwer, eine so große Gruppe auf den engen Bergstraßen beisammen zu halten. Auch gab es einige zwischenmenschliche Schwierigkeiten. Also haben wir uns in zwei Gruppen aufgeteilt, und jede Gruppe nahm ihren eigenen Weg. …

DIE LAGE IN SÜDAMERIKA
„Amerika? Nein, wenn du die USA meinst, da ist es schon lange still. Viele sind in die Rocky Mountains geflohen. Andere, besonders der spanisch-sprechende Teil der US-Bürger sind nach Mexiko Richtung Popocatepetl, einem Vulkan über 5.000 Meter gezogen. …

NUTZUNG VON NEUEN ANTRIEBSSTOFFEN IN SCHIFFEN
Vor mehr als einem Jahr, fast zur gleichen Zeit als Malte Borg und seine Freunde und Fischfangkumpel die für sie lebenswichtige Frage der Zukunft des Fischfangs in der Ostsee diskutierten, fand in Hamburg, einer der größten Umschlaghäfen an der Nordsee und der Ostküste des Atlantik, ein außerordentliches Treffen des Verbandes Gesamtdeutscher Reeder statt. …

Während der anschließenden Pause mit Kaffee und Tee trafen sich Jochen Becker und sein langjähriger Freund Thomas Bachmann, Deutschlandvertreter der größten amerikanischen Passagierschiffgesellschaft Carnival Lines, am typischen Männertreffpunkt – in der Herrentoilette.
Thomas begann: „Weißt du, dass ich mich schon seit langem mit dem Gedanken trage, eines unser älteren Schiffe günstig zu kaufen und es umzurüsten zu einem sicheren Wohnort für meine Familie und Freunde? Es mit Proviant für lange Zeit auszurüsten, eventuell für Jahre, wenn die Flut weiter so steigt.“

UMBAU EINES PASSAGIERSCHIFFES ZUR AIDACASAMIA
Ähnlich lief es mit dem Umbau eines älteren AIDA-Passagierschiffes.

EREIGNISSE AM ÄTNA
Während die Diskussionen auf der AIDAcasamia noch tagelang so weitergingen, ehe eine Entscheidung fiel, schipperte die „Good Hope“ relativ unbelästigt im Mittelmeer Richtung Osten. Es waren viele mittelgroße, dem Anschein nach private Familienboote und umgebaute Frachtschiffe unterwegs. Die meisten hielten sich fast senkrecht oberhalb der alten Verkehrswege im Mittelmeer, fuhren nach Karte ohne Sicht – gute Ortung, Fachwissen und Gefühl für das große Schiff machten es möglich.
Auf Höhe Siziliens schaute noch der ehemals 3.340 Meter hohe Ätna heraus und getreu dem Bild, das der höchste und größte Vulkan Europas schon seit Jahrhunderten bot, ragte wieder eine Eruptionswolke aus ihm heraus, die der Wind etwa als waagerechte weiße Fahne darstellte.
Es sah aus, wie wenn ein Schiff auf der Horizontkante entlangfährt und seine Abgasfahne hinter sich her zieht.

DIE AIDACASAMIA AUF FAHRT IN SÜDLICHE RICHTUNG
Wie geplant, fuhr das große Schiff spritsparend und gemächlich an der Ostküste der ehemaligen USA ent-lang. Das Wasser hatte die flachen Küstenstreifen einschließlich Boston und New York weit über-schwemmt. Von den großen, einst weltbeherrschenden Städten, war nichts mehr zu sehen. Etwas, das den Schiffen schon vor Jahrzehnten hier zu schaffen machte, hatte aber noch deutlicher zugenommen: die Berge von Plastemüll und anderem Unrat.

AM MOUNT KENIA
Nach zwei Tagen kam die „Good Hope“ auf Höhe des Mount Kenia im ehemaligen Kenia an. Das Wasser war dem Berg wesentlich näher gekommen, weil früher das Land von ihm zur Seite des Indischen Ozeans flach abfiel.
Sie wurden von Menschen verschiedener Hautfarben mit unterschiedlichen Signalen begrüßt.

DIE SIEDLER AM MONTBLANC
Das Dorf Montblanc war inzwischen weiter gewachsen an Häusern und Einwohnern. Es waren weitere Bürger aus der Schweiz und dem ehemaligen Frankreich hinzugekommen. Das große Wasser hatte ganze Scheunentore und halbe Holzhäuser, viele Planken und Bohlen mit sich gebracht, die die Dorfbewohner an Land gezogen, getrocknet und für Neubauten verwendet bzw. zur späteren Verwendung gelagert hatten.
Da das Wasser seit Wochen nicht mehr gestiegen war, hatten sie auch weitere Berghänge und Waldgebiete kultiviert und konnten so die zunehmende Zahl der Dorfbewohner recht und schlecht ernähren.
Neue Gewerke waren entstanden, besonders Bauarbeiter, ja sogar Architekten. Jeder wollte ein besonderes Haus haben. Kunst am Bau war typisch, aber generell waren viele zu Künstlern geworden, die freie Zeit machte es möglich.