Testfall der Moderne

Diskurs und Transfer im Schulbau der 1950er Jahre

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Kaum eine Bauaufgabe wurde nach 1945 in Deutschland so sehr von Erwartungen an einen demokratischen Neubeginn begleitet wie das Schulhaus. Die Architektur und der Standort der Schule im städtebaulichen Kontext standen im Fokus der Pädagogen, der Lokalpolitik und nicht zuletzt der Architekten. Ein zentrales Thema der modernen Architektur, die Geschichte der „Neuen Schule“ für den „Neuen Menschen“, schien sich zu wiederholen. Dieses Mal allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Waren in den 1920er und 1930er Jahren die Impulse für die Schulbaumoderne vor allem von Deutschland und der Schweiz ausgegangen, verfolgten nun die Besatzungsmächte ihre jeweils eigene Vorstellung von der idealen Schule. Die Architektur der Schule wurde in diesen Jahren zum Testfall der Moderne.
Die Architekturhistorikerin Kerstin Renz öffnet mit diesem Buch ein spannendes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Das Bauen von Schulen war in der jungen Bundesrepublik eine dringende Notwendigkeit und zugleich ein Politikum. Ging es nach einzelnen Reformern, sollte aus der Neuen Schule die New School werden, deren leichte Architekturen im Grünen für den Frieden, für Demokratie und ein neues, supranationales Gesellschaftsverständnis stehen sollten. In der Auseinandersetzung um die ideale Schule standen sich Erfahrung und Experiment, eingeübte Baupraxis und Reformbereitschaft nicht selten unversöhnlich gegenüber. Die Autorin zeigt anhand zahlreicher Schularchitekturen der 1950er Jahre, wie unterschiedlich der Begriff der „Schulbaureform“ ausgelegt wurde und wie Diskurs und Ideentransfer die Baupraxis beeinflussten.