THANK YOU FOR SMOKING

Die Zigarette im Film

Wie haben sie alle schön geraucht: Rita Hayworth, Marlene Dietrich, Lauren Bacall, Humphrey Bogart, Clint Eastwood, Tom Waits, Uma Thurmann, Harvey Keitel… und wie sie alle heißen: Kaum ein Film bis ungefähr 1990, in dem nicht gequalmt wurde, was das Zeug hielt. Die Zigarette war nicht nur Zeiterscheinung, sondern oft auch ein wichtiges filmisches Stilmittel. Deshalb hat das Deutsche Filminstitut ihr jetzt aus Anlass des 60. Geburtstag von Direktorin Claudia Dillmann ein Buch gewidmet: „Thank you for smoking – Die Zigarette im Film“.

Das Buch ist keine Hommage an die Zigarette, sondern an die Zigarette im Film. Denn das erste Jahrhundert Filmgeschichte ist ohne die Zigarette nicht denkbar. Das zweite ganz bestimmt: Womöglich werden Zigaretten im Film bald so anachronistisch wirken wie der Telegraph im Western oder die Kittelschürze in Fassbinders Kleinbürger-Welten. Peter von Bagh wirft in seinem Text die Frage auf, ob die Zigarette im Sinne einer politisch korrekten Fernsehausstrahlung aus „alten“ Filmen in Zukunft wohl digital getilgt werde. Die Retusche wäre eine bombastische Lüge: Die Filmgeschichte durchzieht der Rauch der Zigarette seit ihren Anfängen.

Schon in den 1910er Jahren gab es im Film rauchende Rebellinnen, wie Philipp Stiasny in diesem Buch anhand von wanda’s trick von 1918 zeigt. Das ging in den 1920er Jahren weiter, als die jungen Flappers die Röcke schürzten, Cocktails bestellten und … rauchten wie die Teufelinnen. Es setzte sich in den 30ern und 40ern nahtlos fort, als die rauchenden Femmes fatales auf qualmende Gangster, Detektive oder Söhne aus gutem Hause trafen, als Soldaten in den Kriegsfilmen die zähen Stunden im Schützengraben rauchend zu verkürzen trachteten, als lebenshungrige Trümmerfrauen in verrauchten Bars nach alliierten Liebhabern suchten; in den 50ern, als abgehalfterte Cowboys oft eher verdrießlich an ihrer Zigarette sogen und aufmüpfige Halbstarke sich mühten, hübsche Petticoat- Trägerinnen mit ihrer Coolness zu beeindrucken. Aus den Filmen der Revoluzzer-Jahrzehnte bis 1980 ist die Zigarette als Insignium des Anti ohnehin nicht wegzudenken.

In den 90er Jahren dann wird zumindest in Amerika die Zigarette in Arthouse-Sphären verdrängt, wie David Kleingers in seinem Beitrag schreibt: Wenn die Heldinnen und Helden noch rauchen dürfen, dann nur, weil sie in hermetischen, ausgewiesen konstruierten Filmwelten existieren. Selbst am Set wird die Zigarette durch ein Kräutersurrogat ersetzt, wie X-Filme-Mitbegründer Stefan Arndt beklagt. Deshalb fragt Juliane Lorenz: „Was wären wir ohne diese Tausende von Filmstunden mit Rauchern und ihren Geschichten, was würden Drehbuchautoren, Regisseure, Kameramänner, Cutter und Tonmeister, was Maskenbildner und Kostümbildner, Requisiteure und vor allem Script-Girls sonst zu tun haben ohne Zigaretten im Film?“

Die Zigarette im Film ist ein filmsprachliches Zeichen: als Requisit in den Händen eines Stars (der oder die gelegentlich einen eigenen Stil im Umgang mit der Zigarette entwickelt) oder als Attraktion für die Kamera (die sich oft auf das Glimmen konzentriert oder auf den Rauch). Ob die Zigarette selbstgedreht ist oder fabrikgefertigt, ob es sich um eine Marlboro handelt oder um eine Gauloise, ob sie einen Filter hat oder nicht, spielt genauso eine Rolle wie die Art und Weise, in der sie geraucht wird: nebenher oder ostentativ, genießerisch oder gehetzt, kokett oder burschikos. Es gibt durchaus Filme, so die Meinung einiger Autorinnen und Autoren, in denen die Zigarette eine Hauptrolle spielt.

Doch die Zigarette im Film ist auch ein kulturhistorisches Artefakt. Denn der Film bildet ab, wie es um das Rauchen in der Gesellschaft bestellt ist.

Wie, wo und wann von wem geraucht wird: Das zu beobachten, kann kulturhistorisch lohnend sein. Wie hantieren im Film die Männer mit der Zigarette, wie die Frauen? Wie entwickelt sich die Rauchkultur mit ihrem ausgesuchten Zubehör, den Zigarettenspitzen, Etuis und Aschern? Wann verliert das Kino die Lust am Lasterhaften und beginnt, die Zigarette aus den Händen und von den Lippen seiner Stars zu verbannen? Wie unterscheidet sich das Kino verschiedener Nationen in Sachen Rauchen voneinander, wo wird die Zigarette sanktioniert, wo gefeiert?

Der Band versammelt neben einem Geleitwort von Hilmar Hoffmann 27 Texte von Filmschaffenden, Filmwissenschaftlerinnen und Filmwissenschaftlern, Journalistinnen und Journalisten, Cineastinnen und Cineasten aus Festivals und Filmerbe-Institutionen. Allen Beiträgen ist gemein: Ihre Autorinnen und Autoren interessieren sich für die Zigarette im Film selten dann, wenn sie als bloßes, „technisches“ Requisit fungiert oder das Rauchen einfach Thema ist (wie in THANK YOU FOR SMOKING, der Filmsatire von Jason Reitman aus dem Jahr 2005, die im Titel zitiert ist). Vielmehr machen sie gerade auch die Aura, die Faszination, das Surplus des Phänomens „Zigarette im Film“ zu ihrem Gegenstand.

Viele Autorinnen und Autoren nähern sich dem Phänomen der Zigarette im Film von filmischen Momenten her: den unverkennbaren Posen ikonischer Filmfiguren und Stars oder dem Rauchen als Geste. Manche stellen einzelne Filme, Genres und Gattungen oder das Werk eines Regisseurs oder Produzenten ins Zentrum. Einige gehen filmhistorisch vor, andere psychoanalytisch. Die, die selbst Filme machen, denken ganz persönlich nach über das, was die Zigarette für ihre Arbeit bedeutet.