In der Musik bezeichnet „Tiento“ eine bestimmte Form der freien Improvisation, eine Art des „Sich-Herantastens“ an ein Thema. In Anlehnung an diese iberische Musikform heißt auch der neue Lyrikband der mexikanischen Dichterin Rocío Cerón: Tiento.
Zentrales Thema von Tiento, welches in Variationen kunstvoll umspielt wird, ist die Migration: Serbien, Peru, Mexiko sind nur einige der geografischen Koordinaten zwischen denen sich die Frauen des Clans – die Großmutter, die Mutter und Eleonora – auf ihrer Suche bewegen. Was die Großmutter in der Alten Welt zurückgelassen hat, beherrscht ihre Schritte in der Neuen Welt, ist mit Melancholie getränkter Ballast, die Wunde, die sich in jeder Epiphanie der Enkelin manifestiert.
Die Frauen, bzw. die Frau – der Mann, der Vater, ist signifikante Abwesenheit – überqueren den Atlantik, kommen nach Amerika, schaffen ihr Amerika, wobei der Kalemagdan in Belgrad, zerstört und eingenommen von den unterschiedlichsten Kulturen, als Indiz und Metapher für die Geschichte der Migrationen und Blutsbande dient, das imaginäre Erbe, das sich der Enkelin in Mexiko erschließt.
Tiento ist mehr als eine autobiografisch gefärbte Familiengeschichte; Tiento tastet sich an die verschütteten Erinnerungsräume mittels Sprache, Bildern und Musik heran, einen einzigartigen poetischen Klangkörper kreierend, der die singuläre Familiengeschichte zu einer universalen Erfahrung transzendieren lässt. Tiento entstand in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Enrico Chapela und der Fotografin Valentina Siniego Benati, die Partituren und Fotografien bilden zusammen mit dem Text eine Einheit.
- Veröffentlicht am Freitag 30. September 2011 von Schiler, H
- ISBN: 9783899303650
- 76 Seiten
- Genre: Belletristik, Lyrik