Tisnikar

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Der slowenische Art brut-Maler Tisnikar (1928-1997) verarbeitete die oft kafkaesken Erfahrungen seines Krankenpfleger-Berufs in Bildern von Kollwitz’scher Intensität. Sein Buch ist ein Dokument der psychischen Anstrengung, die die Krankenpflege-Berufe verlangen, wie auch des Schauers im Angesicht elementaren menschlichen Leidens. Bei ihm spürt man den Zwang eines einfachen Mannes, die Toten malend zurückzurufen zur Mahnung an die Lebenden und für das Leben.
Tisnikar ist immer wieder an seinem Beruf zerbrochen. Er konnte die tagtäglichen Dramen im Operationssaal oder zwischen Besuchern und Patienten im Krankenzimmer nicht ertragen, flüchtete in den Alkohol, ließ sich schließlich versetzen in die Autopsie. Über fünfundzwanzig Jahre lang sezierte er, vorzugsweise in der Nachtschicht und in Gesellschaft seines Rabenvogels, die Leichen des Tages und der Nacht.
Seine Sicht auf die Welt und die Menschen wurde dabei immer hellsichtiger. Im Umgang mit dem Tod offenbarte sich ihm das Wesen der Menschen, der toten und der hinterbliebenen, von denen er die meisten längere Zeit persönlich kannte.
In seinen Bildern erfaßt er die für ihr Leben charakteristischen Situationen. Dieses plötzliche Bewußtwerden der oft tragischen Schicksale malte Tisnikar wie kein Maler vor ihm. Die Gemälde Tisnikars wirkten als Angstbilder von Leid und Tod in den durch Tabuisierungen fast gemütlich abgeschotteten 1970er und 1980er Jahren wie ein Schock.
Sie wirken heute, gegenüber so unsäglichen tagtäglichen Fernseh-Schreckensbildern, gerade auch aus dem ehemaligen Jugoslawien, beinah tröstlich. Denn bei Tisnikar ist kein Kalkül am Werk, weder jenes, einmal ganz anders zu malen, noch Horrorlüsternheit. Bei ihm spürt man nur den Zwang eines einfachen Mannes, die Toten malend zurückzurufen zur Mahnung an die Lebenden und für das Leben.
Zugleich erinnert die Geschichte des Joze Tisnikar daran, welche psychischen Energien in den Krankenpflege-Berufen verbraucht werden.
Aus dem Vorwort des Kunsthistorikers Oto Bihalji-Merin:

„Die Bilder-Landschaft des Laienmalers Tisnikar ist kein Paradies, kein blühender Garten. Das Albdruckhafte, Dunkel-Tragische seiner Gemälde – der Schwarzen Malerei des Francisco Goya vergleichbar – gibt der Vergänglichkeit Dauer. Totenkult und Totenklage stehen im Zentrum der Darstellung. Tisnikars Malerei hat gleichzeitig etwas von der starren, reliefartigen Kunst des alten Ägypten und der Demut und Strenge eines Malers der frühchristlichen Katakomben. Ihre Tragfähigkeit erweist sich in der primitiven Einfachheit ihrer Aussage. In ihrer Ordnung dominiert die Vergänglichkeit des Lebens. Einzige Hoffnung ist die künstlerische Verwirklichung.“
Die Art brut-Kunst Tisnikars war mehrfach in Einzelausstellungen seit 1958, in Österreich seit 1962, in Deutschland seit 1963 zu sehen.