Treffliche Zeiten

Lyrik und Prosa

von ,

Konsumwidriges Verhalten

Eines Tages bekam ich ein Schreiben
vom Amt für städtische Wirtschaftsentwicklung.
Ich sollte mich dort mal einfinden.
Es läge eine Anzeige gegen mich vor.
Amt für städtische Wirtschaftsentwicklung?
Nie gehört. Weil ich neugierig war,
habe ich mich bei der
angegebenen Adresse eingefunden.

Man führte mich in eine Amtsstube.
Zwei Herren in dunklen Anzügen
setzten sich zu mir an den Tisch,
hatten eine Akte dabei,
auf der mein Name stand.
Also, ich sei Rentner, sagten sie,
habe ein festes Auskommen.
Ja, bestätigte ich, eigentlich Frührentner.
Aber ich wüsste nicht, was sie das anginge.
Die Herren verzogen nur leicht das Gesicht.
Man habe mich angezeigt, sagten sie –
wegen konsumwidrigen Verhaltens,
und sie müssen der Sache nachgehen.
Konsumwidriges Verhalten?
Was soll denn das sein?
Das ist, so erklärten sie mir,
wenn jemand den ganzen Tag
durch die Fußgängerzonen und Kaufhäuser
der Stadt spaziert, ohne das Geringste zu kaufen,
obwohl – und da blickten die Herren
mich scharf von der Seite her an –
er genügend Mittel zur Verfügung hätte!
Wieso sie so sicher seien, dass ich das täte,
wollte ich wissen.
Die Herren lächelten nachsichtig.
Ihr Amt würde Detektive beschäftigen,
die wären überall – unauffällig –
in den Fußgängerzonen postiert,
beobachteten die Konsumenten.
Ich wäre ihnen schon mehrfach aufgefallen –
in unangenehmer Weise!
Ständig würde ich in den Auslegewaren
auf den Grabbeltischen herumwühlen,
ohne je etwas zu erstehen.
Ob das verboten sei, wollte ich wissen.
Nicht direkt, sagten sie, aber es ist ein
konsumschädigendes Verhalten.
Ich sollte mir mal vorstellen,
andere Käufer würden sich von
meinem Verhalten anstecken lassen
und auch kein Geld ausgeben.
Dann steckten die Geschäfte
in noch größeren Schwierigkeiten,
könnten gleich dichtmachen.
Einer der Ladeninhaber
bekomme fast einen Herzinfarkt,
wenn er mich jeden Tag
zwischen seinen Auslagen
herumlungern sehe.
Er habe deshalb die Anzeige erstattet.
Ob ich denn keine Bedürfnisse
als Konsument habe?
Doch, sagte ich, aber nicht viele.
Ich bin eigentlich mit dem zufrieden,
was ich habe, möchte nichts Neues
mehr dazuerwerben.
Was ich mit der Rente mache?
Die würde ich aufs Sparbuch bringen,
für meine Kinder, für die Zeit,
wenn ich mal nicht mehr da bin.
Die Herren seufzten. Durch Typen
wie mich gehe die Wirtschaft
in dieser Stadt kaputt,
Arbeitsplätze würden gefährdet!
Mein selbstsüchtiges Verhalten
wäre beispiellos.

Was soll ich denn tun?, fragte ich.
Na, vor allem mein
Kaufverhalten ändern!
Es würden so viele Waren angeboten,
die formschön und preiswert wären,
da sei bestimmt auch das Passende
für mich dabei.

Und die vielen Sonderangebote!
Die müssen mir doch auffallen,
wenn ich durch die Stadt gehe.
Wenn ich da kräftig zulange,
könnte ich viel Geld sparen!

Ich dachte nach,
die Herren hatten gar nicht so unrecht.
Konnte ich es verantworten,
dass die Wirtschaft der Stadt
den Bach hinunter ging?
Dass Mitbürger wegen mir
einen Herzinfarkt bekamen?
Was war ich doch ein Ekel!
Als Konsument sollte ich mich schämen.
Ich werde an mir arbeiten,
versuchen, mein Kaufverhalten zu ändern,
auch wenn ich nicht weiß,
was ich mit dem Zeug,
das ich jetzt einkaufen soll,
anfangen kann.
Aber das wird mir bestimmt noch einfallen.
Und ganz schlimm
wird es sicher auch nicht werden.
Wozu gibt es die vielen Sonderangebote?
Da lässt sich bestimmt,
wenn man geschickt ist,
so manches Schnäppchen machen.
Das spart Geld!
So steht es jedenfalls in den Werbeprospekten.
Und Geld sparen möchte doch jeder gern!