»Der Ister« (IV, 220), beginnt also: Jezt komme, Feuer! Begierig sind wir zu schauen den Tag, …
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Aber mit dem Feuer und der Sonne ist es wie mit dem Wind, dem Nordost, die wir aus einer uns gewohnten Geläufigkeit her ›zunächst‹ für Naturdinge nehmen. So blickend sind wir versucht zu sagen, Sonne und Wind geben sich als ›Naturerscheinungen‹ und bedeuten dann ›auch noch‹ etwas anderes; sie sind uns ›Symbole‹. Wenn wir so reden und meinen, halten wir für ausgemacht, dass wir ›die‹ Sonne und ›den‹ Wind ›an sich‹ kennen. Wir meinen, dass auch frühere Volks- und Menschentümer ›zunächst‹ ›die Sonne‹ und ›den Mond‹ und ›den Wind‹ kennen lernten und dass sie dann außerdem noch diese angeblichen ›Naturerscheinungen‹ als ›Bilder‹ für irgendwelche Hinterwelten benutzten. Als ob nicht umgekehrt erst ›die‹ Sonne und ›der‹ Wind je schon aus einer ›Welt‹ zur Erscheinung kommen und nur sind, was sie sind, sofern sie aus dieser ›Welt‹ gedichtet werden, wobei noch offen bleiben mag, wer hier dichtet. […] Die ›astronomische‹ Sonne und der ›meteorologische‹ Wind, die wir Heutigen fortschrittlicher und besser zu kennen wähnen, sind nicht weniger, nur unbeholfener und undichterischer, gedichtet als das »Feuer« im Gedicht. Das Dichten der Astronomie und Meteorologie, das ›Dichten‹ der neuzeitlichen Naturerklärung ist von der Art des Rechnens und Planens. Planen ist auch ein Dichten, nämlich das Gegenwesen und Abwesen der Dichtung.
(Martin Heidegger: Hölderlins Hymne »Andenken«)
- Veröffentlicht am Donnerstag 1. Januar 2015 von Morphé-Verlag Tübingen
- ISBN: 9783962351038
- 226 Seiten
- Genre: Philosophie, RELIGION, Sachbücher