Tugenden und Affekte in der Philosophie, Literatur und Kunst der Renaissance

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Weitere Informationen unter http://www.rhema-verlag.de/books/sfb496/sfb01.html

Inhalt:

Christof Rapp:

Kunstgemäß erzeugte Affekte in Aristoteles‘ ‚Rhetorik‘

Andreas Vieth:

Verzauberung der Affekte –
Symbolische Kommunikation der Tugend

Rainer Stillers:

Sinnliche Wege zur Tugend? –
Sinne, Affekte und moralische Intention in zwei narrativen Werken Giovanni Boccaccios

Eckhard Keßler:

Emanzipation der Affekte? –
Tugenden und Affekte im frühen Italienischen Humanismus

Klaus Wolfgang Niemöller:

Tradition und Innovation des Affekt-Denkens im Musikschrifttum des 16. Jahrhunderts

Michael Zywietz:

Affektdarstellung und Affektkontrolle in den ‚Bußpsalmen‘ des Orlando di Lasso

Claudia Spanily:

Affekte als Handlanger des Teufels und Mittler des Heils in der ‚Erfurter Moralität‘

Volker Janning:

Zur Darstellung, Erregung und Kontrolle von Affekten im Chor des neulateinischen Dramas

Heinz Meyer:

‚Theatrum Affectuum Humanorum‘ bei Franciscus Lang S.J. –
Ein Hinweis zu den Affekten auf der Jesuitenbühne

Joachim Poeschke:

Motus und modestia in der Kunst, Kunsttheorie und Tugendlehre der Florentiner Frührenaissance

Peter Krüger:

Istoria und virtus bei Alberti und in der Malerei der frühen Renaissance

Hubert Locher:

Erbauliche Kunst? –
Tugend- und Moralvermittlung als Motivation des frühneuzeitlichen ‚Gemäldes‘

Der Antagonismus von Tugenden und Affekten war eines der großen Themen der Moralphilosophie von der Antike bis in die Neuzeit. In der Renaissance stand die Diskussion darüber ganz im Zeichen der aristotelischen Ethik einerseits und der stoischen Affektenlehre andererseits. Eine stärkere Resonanz als der stoischen Sicht, die auf eine völlige Befreiung von den Affekten abzielte, war jedoch seit dem späten 14. Jahrhundert der peripatetischen Lehre von der Mäßigung der Affekte durch die Vernunft und von der Tugend als dem Mittleren zwischen den Extremen beschieden. Schon Coluccio Salutati ergriff mit Nachdruck für sie Partei und sein Schüler und späterer Nachfolger im Amt des florentinischen Staatskanzlers, Leonardo Bruni, der 1416/18 eine neue Übersetzung der ‚Nikomachischen Ethik‘ anfertigte und in seinem wenige Jahre danach verfaßten ‚Isagogicon moralis disciplinae‘ die Lehrmeinungen der Peripatetiker, Stoiker und Epikureer gegeneinander abwog, war zeitlebens einer der eifrigsten Verfechter der aristotelischen Tugendethik. Deren Wirkung blieb in der Renaissance jedoch nicht auf Florenz beschränkt, sondern reichte weit darüber hinaus, und erstreckte sich auch keineswegs nur auf die Moralphilosophie, sondern auch auf die Dichtung, die Redekunst und die Poetik sowie auf die Musik, die bildende Kunst und die Kunsttheorie. Denn keine der genannten Künste konnte letztlich ohne die Erregung von Affekten auskommen, auch und gerade dann nicht, wenn es galt, erbauend und belehrend auf das Publikum einzuwirken. Die rhetorische Frage ‚Sinnliche Wege zur Tugend?‘, die als Obertitel über einem der Beiträge des Buches steht, kann daher zugleich als der rote Faden verstanden werden, der sich durch diese insgesamt hindurchzieht.
Während es der aristotelischen Rhetorik – anders als der Poetik – vor allem um eine möglichst kunstgerechte Erregung von Affekten im Zuhörer ging, ohne daß sich damit moralpädagogische Absichten verbanden, kennzeichneten solche erzieherischen Intentionen, die mit dem Bewegen des Gemütes nicht nur erfreuen wollten, sondern damit auch das Ziel der Belehrung verknüpften, in besonderem Maße die römische Rhetorik. Deren Aufleben war daher – zusammen mit dem für diese Epoche kennzeichnenden wachsenden Individualitätsbewußtsein und der mit diesem einhergehenden Emanzipation der Affekte – zweifellos eine der Hauptursachen dafür, daß sich in der Renaissance die Evokation von Affekten zu einem virtuos gehandhabten Instrument künstlerisch-rhetorischer Vermittlung ethischer und sozialer Normen entwickelte. Daß unter diesen Normen die Mäßigung der Affekte einen hervorragenden Platz einnahm, machte sie nicht nur zu einem Hauptthema der symbolischen Wertevermittlung, sondern erforderte auch ein neues und vertieftes Reflektieren der ihrer Rolle angemessenen darstellerischen Mittel, eine ihr adäquate Dramaturgie, die der Affektkontrolle im literarischen, musikalischen und bildlichen Kunstwerk nicht weniger als der Affekterregung Rechnung trug. In welcher Weise dies geschah und wie dabei das Kräftespiel von Affektregie und Tugendlehre, von affizierenden und exhortativen Mitteln und Inhalten beschaffen sein konnte, wird in dem vorliegenden Band in Einzelanalysen auseinandergesetzt.

Der Band ‚Tugenden und Affekte in der Philosophie, Literatur und Kunst der Renaissance‘ versammelt die Beiträge eines Kolloquiums, das im Januar 2002 im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 496 ‚Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution‘ im Institut für Kunstgeschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stattfand. Entsprechend der interdisziplinären Ausrichtung dieses Forschungsverbundes und insbesondere jener drei mit Tugendlehren und Wertesystemen in der frühen Neuzeit befaßten Teilprojekte der Kunstgeschichte (‚Virtus in der Kunst und Kunsttheorie der italienischen Renaissance‘), der Philosophie (‚Grundlagen und Typen der Tugendethik‘) und der Mittel- und Neulateinischen Philologie (‚Theatralische und soziale Kommunikation: Funktionen des städtischen und höfischen Spiels in Spätmittelalter und früher Neuzeit‘) betreffen die hier vorgelegten Beiträge die engeren Fachgrenzen überschreitende Themen eben jener genannten Disziplinen, darüber hinaus aber auch solche der Romanistik und der Musikwissenschaft.