Uhrmacher, Bärnhäuter und Musikalische Reisen

Satiren aus der Heidelberger Romantik

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Nachwort zur Neuausgabe

Von MICHAEL GLASMEIER und THOMAS ISERMANN

Wenn wir es nach über einem Vierteljahrhundert wagen, diese grandiosen satirischen Schriften erneut und erneuert zu publizieren, dann aus einer Überzeugung, dass solche Texte in der deutschen Sprache beispielslos sind: Als poetische Höchstform in konzentrierter Dichte, als anarchische und satirische Sprachexperimente mit außergewöhnlichen Schreibstrategien sind sie selbst im Umkreis der Romantiker nicht nur einmalig, sondern Ausweis jener Kraft, zu der die deutsche Sprache fähig sein könnte, wäre sie nicht in die Hände von »Bürgern« geraten, die – um den Bogen ins Heute zu schlagen – nicht mehr Johann Heinrich Voß, sondern Daniel Kehlmann, Martin Mosebach oder Uwe Tellkamp heißen, dessen Morgenblatt nun das Wochenblatt Die Zeit ist.
Zudem sind wir der Auffassung, dass die zeitlose Kraft dieser Literatur, ähnlich der von Christoph Martin Wieland, Karl Philipp Moritz, Ludwig Tieck oder Jean Paul, umso deutlicher, eindringlicher werden müsste, je monströser die Dummheit sich gebärdet und eine allgemeine Versorgtheit zur Maxime wird – das zumindest war unsere Idee, die zuerst 1983 in Marburg anlässlich eines gemeinsam besuchten Brentano-Seminars des mehr als inspirierenden, 2009 verstorbenen Gert Mattenklott zündete und dazu führte, dass wir dieses Buch 1988 in der Berliner Edition Sirene erstmalig herausgaben. Dieser von Wolfgang Schmidt begründete Verlag publizierte in wunderbar gedruckten Bibliophilien hauptsächlich surrealistische Literatur, aber prunkte neben Joris-Karl Huysmans oder Julien Gracq auch mit einer vom Verleger neu übersetzten, aus Garamond Monotype, Korpus und Borgis handgesetzten, gedruckten und gebundenen Werkausgabe des Comte de Lautréamont. In diesem Kreuzberger Unternehmen, dem wir freundschaftlich, ideell und teilweise handwerklich verbunden waren, brachten wir also Brentano/Görres in Bodoni Monotype und das als Frontispiz liebevoll eingeklebte farbige en profil-Ganzfigurporträt von BOGS angemessen unter. Doch leider zündete unsere Idee nicht, zumal aufgrund miserabler Nachfrage nicht alle schon gedruckten Bücher gebunden wurden und der Verlag selbst auch wegen finanzieller Schwierigkeiten immer kurz vor der Auflösung stand. Wolfgang Schmidt zog bald ins einsamere Umland Berlins und verschwand dann irgendwann nach Frankreich.
Vielleicht hätte das Buch Ende der 1970er Jahre mehr Erfolg gehabt, weil zu dieser Zeit die Künste und die Subkultur noch einmal produktive Verbindungen eingingen, bevor diese Chance mit dem Kassieren von Punk und New Wave, der Zeitgeist-Ausstellung in Berlin3 oder dem Ende etwa des März Verlags vollends vertan worden ist. Aber wie gesagt, ursprünglich sollte unsere Idee aus dem naiv-aufklärerischen Glauben, dass in dämlichen Zeiten gerade das kraftvoll Anarchische größte Wirksamkeit entfaltet, eigentlich auch anders funktionieren.
Ein Wort zur »zeitlosen Kraft« dieser Texte, die als Satiren wie kaum andere an ihre je eigene Zeit gebunden sind.
Was auch immer »Romantik« sei, von der wir damals träumten: eine Epoche? Ein modernes Gefühl? Widerspenstig und anarchisch entzieht sie sich einer Definition, weil Definitionen ihre Sache nicht sind. Im Verlauf der modernen kunstgeschichtlichen Epochen, zu denen die Romantik gehört, kennen wir den Effekt, dass viel von dem, was historisch war, gegenwärtig bleibt.

Romantiker lieben die freie Natur. Sie erwandern ihre geografischen Bezugspunkte und singen dabei ein Lied. Auf dieses simple Urbild, kaum mehr als ein Emblem, lässt sich der Zusammenhang reduzieren, der zwischen Natur und gesungener Schöpfung besteht: Dies ist im BOGS die Hauptklammer zwischen der mechanisch festgehaltenen Zeit des Uhrmachers und der übergeschwappten Zeiterfahrung während des Konzerts. In dieser U(h)r-Erfahrung liegt die Aktualität des Werkes.
Romantiker sind Büchernarren. Brentano, Tieck – sie besaßen oft mehrere Tausend Bände in ihren Privatbeständen, darunter Rara, um die sie Philologen beneideten. Der historische Eigenwert des Gelesenen aus alter Zeit wird der eigenen entgegengehalten, und das war in diesem Umfang neu, das ging über klassische Antikenaneignung hinaus. Bei kaum einem unserer Romantiker findet sich eine nennenswerte Antikenrezeption. Die Textnarren der Romantik verstanden ihre Werke als work-in-progress im literarischen Kontinuum, das nicht klassifiziert, sondern strömt – daher die ungeheure Nähe von BOGS und Bärnhäuter zu Beckett und Konrad Bayer.
Vielleicht bietet diese Neuausgabe neben dem reinen Vergnügen Anlass für ein Überdenken geisteswissenschaftlicher Mutmaßungen zur Romantik, Ideenkunst, Satire, Zeitgenossenschaft, »Kunstform der Tollheit«, aber eben auch zum Klang dessen, was wir Musik nennen. Wir haben nun diesen »trefflichen Wahnsinn« ins Verlagsprogramm aufgenommen, Ein Werk, über dessen Autorschaft Jean Paul in einem Brief vom 22. Juli 1810 an Achim von Armin schreibt: »Sie halten die Lachmuskeln der Leser wie Zügel in der Hand und machen mit deren Gesichtern, was Sie wollen.«