und meine Flügel schweben ohne mich davon

Gedichte

von

Zeitlebens hat mich das Rätsel beschäftigt, woher künstlerische, woher literarische Kreativität komme. Ich habe mit vielen literarisch produktiven Menschen einen mehr oder weniger vertrauten Umgang gehabt. Aber ich wüßte nicht einen zu nennen, bei dem ich ähnlich große Schwierigkeiten gehabt habe, mir vorzustellen, ›wie er das macht‹. Im täglichen Umgang bis zur Schroffheit schnell im Denken, Urteilen und Handeln, scheint Abram des öfteren inne zu halten, ein Anderer zu sein und unaufgeregt Gedichte heraus zu lassen. Ohne Punkt und Komma, kein Titel und auch sonst keinerlei Spuren einer ›Nachbearbeitung‹. Abram Maenners Gedichte scheinen nicht durch einen wie auch immer gearteten Prozeß zu entstehen. Sie wirken auf mich überhaupt nicht wie ›gemacht‹. So denke ich mir, daß wir es hier mit einem lyrischen Sprechen im Modus eines hellsichtigen Orakelns zu tun haben, durch nichts als durch den ›Geist der Poesie‹ inspiriert. Selbstverständlich muß er sich mit den Themen und Gegenständen seiner Gedichte auseinandergesetzt haben – Geschichten aus dem Alten Testament und der griechischen Mythologie, mit dem eigenen Leben und seiner Zeit, mit der Erfahrung der Natur und der Liebe. Aber diese Auseinandersetzungen werden nicht mit, sie werden schon gar nicht in den Gedichten ausgetragen. Was sich dort ereignet, ist die Wahrnehmung zuvor genau durchdachter Sachverhalte durch ihre Verschiebung ins Poetische. (Leo Kreutzer, Professor für deutsche Literatur)