Vermächtnis eines bemerkenswerten Mannes

von

Drei Besonderheiten der Lagune von Venedig und der Stadt selbst haben in meinen Erinnerungen tiefe Eindrücke hinterlassen:
• das Labyrinth der Gassen und Gässchen, Brücken und Brückchen an den Ufern und Armen des Canal Grande, in dem man sich nach Einbruch der Dunkelheit rasch verliert und sich einem der Eindruck aufdrängt, dass hier jederzeit ein Arm nach einem greifen und einen noch tiefer in die Dunkelheit zerren kann, ohne dass auch nur ein Hahn nach einem kräht;

• das klingende, hallende Echo der eigenen Schritte auf dem uralten Pflaster in den stillen Nächten, das einem bewusst macht, dass der Boden, über den man geht, hohl und dünn ist;

und

• der rasche Wechsel von Glanz und Düsternis, feurigem Abendrot und dunkelblauen Schatten, strahlender, durchglühter Schönheit und modrigem, bröckelndem Verfall.

Auf den Inseln Murano und Burano, auf dem Lido und in den Kirchen und Palästen Venedigs gingen mir erstmals die Augen für das Schöne auf, sei es in der Architektur, Bildhauerei oder Malerei, in der Gestaltung von Parkanlagen und Gärten oder von Gewändern und Polstermöbeln.
Das sichere Gespür für Farben und deren Nuancen und Zusammenstellungen, für Licht und Schatten und das Spiel mit beidem, für Linien und Formen, in denen sich eine Haltung, ein Wesenszug, ein Gefühl ausdrückt – kurz, das Gespür für geistvolle, beseelte Schönheit – ist etwas, das dem italienischen Volk und seinen großen Künstlern niemand nehmen kann.

Zugleich hat Venedig zu nächtlicher Stunde etwas Mystisches, Abgründiges, Spukhaftes, als könne hier jederzeit alles geschehen, als sei in einer Stadt, in der so viele alte Erinnerungen im Mauerwerk hängengeblieben sind, nichts undenkbar oder unmöglich.

All diese Eindrücke und einige andere, auf die ich in meinem Nachwort näher eingehe, haben mich damals zu der Erstfassung meines Romans inspiriert, den ich hier und heute meinen geneigten Leserinnen und Lesern überreiche und es ihnen überlasse, was sie davon glauben möchten oder nicht…