Gertrud Hempel legt mit ihrer Publikation „Volkserzähler werden“ ihr erzählerisches Testament vor. Sie möchte damit den wesentlichen Gehalt ihres Lebenswerkes festhalten und an diejenigen vermitteln, die sich für das Erzählen begeistern.
Eine Tradition, wie es sie früher gegeben hat, dass die Menschen von Mund zu Mund das Erzählgut weiter gaben, existiert nicht mehr. Wir sind heute im wesentlichen auf Bücher angewiesen, in denen Sammler die Märchen der Welt festgehalten haben. Gedruckte Märchensammlungen gibt es viele. Es sind wahre Berge von Papier, durch die sich jeder hindurcharbeiten muss, der Märchen selbst erzählen möchte. Natürlich kann man die Geschichten auch vorlesen – aber erzählen, ist lebendiger, spannender. Trifft man auf Erzähler, bei denen eine starke innere Beteiligung spürbar ist, dann wird es richtig packend. Eine solche Erzählerin ist Gertrud Hempel. Der wesentliche Punkt an ihrer Erzählkunst ist, dass sie sich die sog. „Buchmärchen“ durch intensive Bearbeitung auf ihre besondere Art zueigen macht. Bei dieser Tätigkeit reicht es nach ihrer Auffassung nicht aus, vorgefundenen Märchentexte auswendig zu lernen. Sie geht von Prinzipien aus, die auf folgende Punkte gebracht werden können: Einfachheit – lebendige, direkte Sprache – intensive innere Beteiligung der Zuhörenden durch die Arbeit mit Bildern auf seelischer Ebene. Auf diese Weise ruft Gertrud Hempel den Geist des tradierten Erzählgutes wieder neu hervor und macht ihn nachvollziehbar und erlebbar für die heutige Zeit
Gertrud Hempel hat mit ihrer Art, Märchen zu erzählen eine begeisterte Zuhörerschaft gefunden. Viele erfolgreiche Erzählerinnen und Erzähler wurden von ihr ausgebildet. Inzwischen hat sie auch eine Stiftung ins Leben gerufen, die einmal im Jahr den „Ring der Erzähler“ verleiht.