Von wegen den Tieren

Roman

von

Wenn der Georges wieder gehen würde, wäre das von wegen den Tieren und den Hofangelegenheiten ein harter Schlag, zumal unsere Vulva auf krank macht und man hier einen Schwarzen nachbräuchte für die Kühe und man nicht weiß, ob es so massige gibt wie ihn, dazu noch einverstanden, bei dem ganzen Mehraufwand an Arbeit im Gewächshaus zu schlafen.
Dieser Georges ist einerseits offen und ehrlich und herzensdirekt, er ist mutig, im voraus gesagt zu haben, dass er nächtens im Dunkeln einer Frau nachstellt, auch wenn es hagelt oder schifft. Und andererseits muss man auch sagen, dass mit dem Georges gutes Wetter auf dem Hof eingezogen ist: Seit er aus dem Postauto gesprungen ist und wir ihn ins Gewächshaus gesteckt haben und er einverstanden ist, alle Arbeit anzupacken, die man ihm gibt, ist es einfacher geworden, die Probleme eins nach dem anderen wegzuschaufeln und innerlich nachzudenken, was wohl gesagt oder gepflanzt oder verkauft werden müsste.
Ich kann den Georges, ohne ihn damit zu entschuldigen, fast ein bisschen verstehen, dass er da ganz dumm hineingeraten ist, so wie die Geschichte aussieht, in der er steckt: Diese Weiber denken nur an das, sie bemühen sich, uns ins Verderben zu ziehen, und wir tanzen ihnen schnurgerade hinterher, weil sie uns mit dem Charme am Schlips haben, und sogar ich kann davon erzählen, weil als die Vulva noch da gewesen ist, musste man pausenlos nein sagen jedes Mal, wenn die Nacht einbrach. Man kann deshalb nichts als verstehen, dass es auch solche erwischt, die tüchtig sind und schwarz und rentabel für den Hof, beginne ich zu mutmaßen, und es gibt einen realen Bedarf nach einem Georges, der sich auf dem Hof abrackert, wenigstens bis September.

‚Un vrai coup de poing à la face du beau language‘ (Guy Goffette): Noëlle Revaz sorgte vor zwei Jahren in Frankreich für Aufsehen, als Gallimard ihren Erstlingsroman in der prestigeträchtigen ’série blanche‘ veröffentlichte.
‚Von wegen den Tieren‘ ist der Monolog von Paul, der von seinen Tieren, der Frau, die er Vulva nennt, einigen namenlosen Kindern und dem Leben auf dem Hof erzählt. ‚Das Leben ist voll Löcher und Beulen und nicht wirklich lustig oder schön anzusehen‘, sagt Paul – bis eines Tages Georges auftaucht, ein portugiesischer Saisonarbeiter, der Paul durch seine Art, die Welt zu sehen, zu irritieren beginnt. Indem Georges allmählich die hermetische und autistische Welt von Paul und Vulva öffnet, verändert sich langsam auch Pauls Blick.
Daß Noëlle Revaz 300 Seiten mit dem Monolog eines Menschen füllt, dessen größte Unzulänglichkeit das Sprechen ist, ist nicht das einzig Paradox. Eindringlich schafft sie eine Welt, die sich uns zugleich entzieht. Auch die Sprache, eine künstliche Mundart, die Noëlle Revaz Paul in den Mund legt, läßt sich nicht verorten. Findlingen gleich, die zeit- und ortsfremd sind, fügen sich die Worte hier zu einer (Sprach-) Landschaft zusammen, die vom Gefangensein in und von der Befreiung durch Sprache und Sprechen erzählt.
Noëlle Revaz, geboren 1968, lebt in Lausanne. Für ‚Rapport aux bêtes‘ ist sie mit dem Preis der Schiller-Stiftung ausgezeichnet worden.