Wegzehrung

Gedichte

von

„Wenn Kunst die Sprache des Herzens ist, die auch von Herzen verstanden wird, dann ist das in ganz besonderem Maße bei Albert Steffens Lyrik der Fall. Wenn das Herz nicht nur der Sitz von Gefühlen ist, sondern wenn es zu denken anfängt, dann muß sich das so offenbaren, wie in diesem Dichterschaffen. Der Kopf, der die angerührten Weltgeheimnisse und Menschenrätsel ergriffe, könnte wohl endlose Grübeleien hervorbringen. Der Dichter aber gestaltet aus dem Gebiet des Schauens der Weltgeheimnisse heraus und darf auch das Höchste aussprechen, weil er sich auch im Gestalten noch Andacht bewahrt. Zu den Antworten aber, das spürt man bei allen Gedichten, war ein schmerzvolles Ringen und Suchen der Weg. Verwandelt lebt dieser Schmerz nunmehr als Güte fort, und diese Güte ist es ja auch, die als Grundton in allen Werken Albert Steffens lebt, insbesondere aber in dieser Wegzehrung.
Wegzehrung: Wir brauchen dies Wort in seinem tiefsten Sinne beim Hingang eines Menschen in die andere Welt im Sterben, als Name des Sakramentes, das den ewigen Ich-Kern stärkt, der von Dasein zu Dasein schreitet. – Eine Erinnerung steigt mir da auf, wie eine Sterbende. nach dem Vorlesen von Gedichten aus Morgenstern und Steffen die darin lebendige Auferstehungsgläubigkeit wie eine Labung in sich einsog und mir am Schluß das Buch aus der Hand nahm und innig immer wieder und wieder sich in die Schlußstrophen des zuletzt gelesenen Gedichtes versenkte, die also lauten: ‚. Horch, wie eine Melodie / tropfts vom Himmel nieder / und beseelt die Glieder / mit der Sternenharmonie. // Wir verspüren es im Mark: / drinnen wird lebendig, / drängt hervor unbändig, / o wie hämmert es im Sarg. // Bis der Deckel donnernd kracht, / wir der Truh entspringen, / liebend uns umschlingen, / Leben jubiliert und lacht.‘
‚Leben jubiliert und lacht‘ – das war für die Abschiednehmende ein stärkender Gruß aus der Welt jenseits des Tores, das sie wenige Stunden darauf durchschreiten mußte.
. Immer aufs neue dürfen wir, nur vergessen wir es so leicht, im Worte unser eigentlichstes Menschsein erleben. Dem Dichter aber ist das Wort zu seinem Berufe gegeben. Er gestaltet es in priesterlichem Handeln, aus der Sphäre des Wortes heraus, das im Urbeginne bei Gott war. Albert Steffen bekennt im letzten Gedicht der Wegzehrung: ‚. Die Sprache formt Schicksal, / gemäß den Lauten, / streng oder milde. / Näh oder Ferne vom ewigen Urwort / bestimmt meine Freiheit und Not.‘.“ (Jacob Schellenberg in „Davoser Revue“ vom 15.Juli 1931)