Wer sind wir?

Das widersprüchliche Erbe der Menschen

von

„Der Tod ist ein Skandal“ meinte Elias Canetti, und nicht wenige haben diesen Satz seitdem bekräftigt. Was soll das wohl heißen? Ist nicht der Tod ein Teil des Lebens? Natürlich ist er das! Werden und Vergehen sind Grundgesetze des Lebens. Ohne Leben kein Tod, ohne Tod kein Leben. Genau daran stößt sich Canetti: Dass es uns unumgehbar vorgegeben ist, sterben zu müssen. Dass wir nicht frei entscheiden können. Dass uns der Tod als Grundbedingung des Lebens aufgezwungen wird.
Die Tatsache des Todes ist ein gewichtiger Bestandteil dessen, was die Alten als conditio humana bezeichneten. Damit meinten sie die Bedingungen, die dem menschlichen Leben vorgegeben sind. Wir können über diesen Rahmen nicht hinaus, so wie ein Bühnendrama sich nur innerhalb der Grenzen einer Bühne abspielen kann. Den Rahmen unseres Lebens hat die Natur abgesteckt. Er ist biologisch
festgeschrieben.
Aber Leute wie Canetti empfinden sich gar nicht in erster Linie als biologische Wesen. Für sie ist die Welt der Menschen die Welt des Geistes. Dort gibt es keine körperliche Beschränkungen, keine Grenzen, kein Ende. Da passt der Tod nicht gut hinein.
Seitdem sich uns die unbegrenzte Freiheit des Geistes öffnete, gibt es den Widerspruch in unserem Leben, den Canetti beklagt. Seitdem haben unsere Vorfahren auch darum gekämpft, gedanklich mit dem Tod klarzukommen. Sie fragten sich, wozu wir dann überhaupt auf der Welt seien und was nach dem Tod sein würde. Sie erfanden ein Jenseits – alle Menschengruppen auf der Welt taten das –, und sie erfanden eine unsterbliche Seele.