Dieser dritte Band der Erzählungen von Siegfried Lenz aus dem Zeitraum von 1964 -1975 belegt eine beträchtliche Ausweitung seines erzählerischen Aktionsbereichs. Das Verhältnis des Schriftstellers zur Welt, die es zu prüfen und in Frage zu stellen gilt, wandelt sich: neben Themen und Szenerien, die dem Leser Wiederbegegnungen vermitteln, tritt ein neues Element ins Bild – die Phantasie. Die Angst des illegal eingeschleusten Gastarbeiters – „Wie bei Gogol“ -, die Erkenntnis, daß Gleiches, unter verschiedenen Gesichtswinkeln betrachtet, an Gleichheit einbüßt – „Achtzehn Diapositive“, endlich die Frage nach Identität des Menschen und seiner Vertauschbarkeit, gestellt in der Dialogszene „Herr und Frau S. in Erwartung ihrer Gäste“: das sind neue Töne. Sie werden zum Thema in der Erzählung „Die Phantasie“: hier wird nicht Realität prüfend abgeklopft, vielmehr geht es um die erstaunliche Vielfalt der Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen. Einen weiteren Beweis für diese Vielfalt bietet die Geschichte „Einstein überquert die Elbe bei Hamburg“ an – eine Hafenszene, seltsam relativiert und dann wieder in die Realität des Alltags entlassen durch die Anwesenheit Einsteins, eines Mannes also, der – wie Siegfried Lenz in seinen Erzählungen – „selbst bestimmt, was eine Tatsache ist.“
War „So zärtlich war Suleyken“ eine „aufgeräumte Huldigung“ an Masuren, die einstige Heimat des Autors, so ist „Der Geist der Mirabelle“ eine „zwinkernde Liebeserklärung“ an die neue Wahlheimat in Harnburg und Schleswig-Holstein: seit 1975 hat Bollerup, das kleine Dorf, „nördlich von Kiel gelegen bzw. südlich von Aabenraa“, wie Suleyken einen festen Ort auf der Landkarte des deutschen Humors.
- Veröffentlicht am Donnerstag 5. Dezember 2024 von Hoffmann und Campe
- ISBN: 9783455042719
- 676 Seiten
- Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur (ab 1945)