Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder

nummer 109

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Auf „Die Blumen des Bösen“, ein von dem Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann konzipiertes Symposium, bezieht sich der Schwerpunkt diesen Heftes. Die vier ausgewählten, bisher schon in Wespennest publizierenden Autoren sind Andrzej Szczypiorski, Adolf Holl, Wendelin Schmidt-Dengler und Peter Strasser, der unter dem Eindruck der Debatte, die sein Vortrag am Symposium und im Feuilleton auslöste, die Druckfassung seiner Arbeit substantiell erweiterte. Ergänzt wurde die Textauswahl (das Buch zum Symposium erscheint 1998 im Wiener Zsolnay-Verlag) durch Beiträge von Peter Wagner, dem Monolog aus seinem Oberwart- Stück, Heimrad Bäcker, der aus seinen umfangreichen, zwischen 1968 und 1989 durchgeführten Photoarbeiten einen Essay zusammenstellte, und Stefan Fuhrer, dessen Arbeit, eine computergenerierte Ghraphik, auf Beiträge verweist, die in den letzten Monaten in den beiden führenden Medien des Landes veröffentlicht wurden.
Die Kronen-Zeitung hat an Hand des ersten freigegebenen Photos von Franz Fuchs ein prägnantes Beispiel ihrer Erkenntnistheorie, verschmolzen in einer Schlagzeile, publiziert: „Ein Gesicht wie ein Geständnis“. – Kann ein Bild, ein authentisches Portrait des personifizierten Bösen, das Böse wiedergeben? Ist das Böse abbildbar? Stefan Fuhrer hat sich in seinem Beitrag für das Cover dieses Thema gestellt. Seinem Bild des Bösen liegt ein Portrait des Bösen zugrunde, eine Physiognomie, in der der real existierende Konsens über Es seinen körperlichen Ausdruck gefunden hat. Fuhrers Blick auf das Böse hat allerdings nichts mit der von ihrem Gegenstand faszinierten Kritik zu tun, wie sie zuletzt in den Dokumentationen über Hitler und seine Helfer zu sehen war, ausgestrahlt im Rahmen des ORF-Formats „Im Brennpunkt“. Stundenlang, Sendung um Sendung, marschierte der Führer, seine Rechte in den Herrschaftsraum streckend, brüllend über den Bildschirm. Paradigmatisch, wie sich in diesen Dokumentationen die Inszenierung der Macht in der Macht der audiovisuellen Inszenierung wiederholt. Als Farce. – Fuhrer verweigert den „dokumentarischen Blick auf das Böse“ und macht aus einem im Fernsehen zur Unkenntlichmachung, zur Anonymisierung von Menschen eingesetzten Mittel ein Mittel der Erkenntnis. Anders als der Modephotograph in Antonionis „Blow-Up“, der, im Glauben, ein Verbrechen aufgenommen zu haben, versucht, durch Vergrößerungen herauszufinden, ob es tatsächlich passiert ist, stattdessen nur die Bedeutungslosigkeit des aufgeblasenen Filmkorns zu Papier bringt, der also der Wahrheit nicht näher kommt, birgt Fuhrers angewandte Op-Art veritable Effekte. Zwar verliert auch sein Bild vom Bösen durch die Vergrößerung sein vordergründiges Thema, gewinnt aber gleichzeitig eine verheerende Wahrheit: Ist das Böse groß genug, kann man es nicht mehr erkennen, erst die Distanz schafft Wahrnehmung und Erkenntnis. – Das Böse ist keine Frage der Abbildung, es ist keinem Gesicht als Geständnis eingeschrieben, sondern verwirklicht sich in Handlungen.
Außerdem Beiträge von: Erwin Riess, Iwalio Ditschew, Doris Kareva, Friederike Mayröcker, Franzobel, Heidi Patakik. Wiener Portrait XVI: Marlene Streeruwitz.