Widerstand gegen die Zumutungen des Glaubens

Ein Gemeindepfarrer und seine ganz persönliche Kirchengeschichte

von

Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch mit einer angeborenen religiösen Wahrnehmungsfähigkeit auf die Welt kommt. Dieses sehr feine Sensorium kann unentwickelt bleiben, es kann durch frühkindliche Erfahrungen verkümmern, verbogen oder zu Boden getreten und schließlich vergessen werden. Oder aber es wird durch eine sogenannte historisch gewachsene Religion wie die großen Weltreligionen überprägt und in den Hintergrund gedrängt. Leider geht mit dieser Prägung oft auch eine Entmündigung einher. Originäres, wahrhaftiges, eigenes religiöses Empfinden traut sich nicht mehr, sich zu äußern, aus Angst, von der Linie abzuweichen, von den studierten amtlichen Meinungen als unwahr, falsch und gefährlich disqualifiziert zu werden. Man verliert den Mut und das Selbstbewusstsein, sich selbst und seinen eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen zu trauen.
Immer mehr wurde es daher zu meinem Anliegen, die Menschen in meinem kirchlichen Umkreis in ihrem eigenständigen religiösen Denken und Fühlen zu ermutigen und zu bestätigen. Folgerichtig verstand ich meine Predigten nicht länger als „Lehre“ der Kirche und des Glaubens, sondern als eine Erinnerung an das, was in den Menschen schon immer da war, was vielleicht nur schlummerte oder durch Erziehung unterdrückt und vergessen worden war.