Wie ein Messer im Honig

Gedichte über die Liebe und anderes

von

Mit Corrado Calabrò läßt sich zum ersten Mal im deutschen Sprachraum eine neue, außerordentliche Stimme im Konzert der italienischen Lyrik des 20./ 21 Jahrhunderts hören. Außerordentlich auch im eigentlichen Sinn des Wortes: der hochrangige Staatsbeamte gehört keiner literarischen Mode, keiner von der Kulturindustrie favorisierten Kohorte an, sondern geht seinen Weg als Schreibender seit langem in selbstbewußter Autonomie. Die Zersplitterung des Diskurses, der Gebrauch des Wortes nur um des Wortes willen ist seine Sache nicht. „Es gibt kein password, das uns ein für allemal das Tor aufstößt zu unserem Unterbewußten“, es gibt keine magischen Wörter, meint Calabrò, doch kann und muß die Sprache der zeitgenössischen Poesie sich bereichern und beleben durch die Osmose mit den Wissenschaften. Freilich erreicht der Lyriker nie die Selbstzufriedenheit des Rhetors, bleibt immer zurück hinter dem, was er – für einen Augenblick – jenseits des Horizonts gesehen hat. Dichtung ist die „aufgeschobene Präsenz einer Abwesenheit“, ihr Wort gleicht – sagt uns der biologisch versierte Autor – einem Vorläuferstoff, es wirkt erst in dem, was es (hoffentlich) einleitet, so wie Levodopa dem Glückshormon Dopamin vorangeht.
Calabrò ist ein erotischer Dichter, seine schlanken, beweglichen Metaphern repräsentieren eine stattliche Galerie begehrenswerter Vertreterinnen des schönen Geschlechts. Doch ist dieser Eros – wie der platonische – nicht nur ein großer Jäger und Fallensteller, er hat auch dessen vertikale Dynamik: die – stets enttäuschte – Suche nach dem zu uns gehörigen Anderen mündet ein in die Suche nach dem unaussprechlichen Anderen überhaupt. Calabrò, Kind und Erbe der Magna Grecia, ist auch ein Dichter des Meeres und vielleicht hat niemand seit Montale einen so nachdenklichen und intensiven Dialog mit dem unergründlichen Element geführt wie er. Die Liebe und das Meer, heißt es in einem der schönsten Gedichte dieses Bandes, bergen das gleiche Risiko: Dem Meer begegnet man, wie es kommt, / grenzenlos und ebenso ungewiß…/ Es ist eine Wette, die wir eingehen müssen/ bis zur letzten Inkonsequenz./ Peinlich ist nur das Trockenschwimmen am Land, statt den Sprung ins Wasser zu wagen.