Zwischen allen Fronten

Autobiographie eines Südtiroler Partisanen

von

Ludwig Karl Ratschiller hält in seinen Aufzeichnungen die persönlichen Kriegserlebnisse fest. Der ungewöhnliche Blick auf Faschismus, Nationalsozialismus und Krieg machen die Autobiografie zu einem beeindruckenden Dokument Südtiroler Zeitgeschichte. „Zwischen allen Fronten“ ist kein Zeitdokument, es entstand erst nach der Pensionierung Ratschillers 1980. Eindrücklich schildert er die Entfremdung seiner gewohnten Umgebung durch die Entnationalisierungspolitik des Faschismus. Letztlich entfremdet er sich auch der eigenen Familie und „flüchtet“ 1940 nach Innsbruck, um sich freiwillig für die Luftwaffe zu verpflichten. Die anfängliche Begeisterung für die Erfolge des „Dritten Reiches“ macht Ratschiller, selbst ein Opfer der NS-Siedlungspolitik, zum unkritischen Handlanger der „völkischen Flurbereinigung“ in Lothringen und Polen. Als er an der „Ostfront“ die Menschenverachtung der Hitler-Armee erkennt, steht sein Entschluss zur Desertion aus der Luftwaffe fest. Selten hat jemand so nachvollziehbar diese innere Wandlung beschrieben wir Ratschiller.

Beim Fronturlaub in Bruneck im März 1943 gelingt die inoffizielle Versetzung in faschistische Miliz nach Fiume (Rijeka). Brutale Übergriffe gegen die slawische Bevölkerung, die Ratschiller beobachtet, führen zu seiner zweiten Desertion. In die Enge getrieben, schließt sich Ratschiller im Mai 1944 den Belluneser Partisanen der Brigade „Calvi“ an, wo er rasch zum militärischen Kommandanten avanciert. Ratschillers Erinnerungen verweisen auch auf die problematischen Beziehungen zwischen Südtirolern und Bellunesern: An der Bekämpfung des Belluneser antinazistischen Widerstandes sind Südtiroler maßgeblich beteiligt und daher im Bellunesischen vor allem als Täter des Nazi-Regimes in Erinnerung. Ratschillers ungewöhnliche Perspektive wird vor diesem Hintergrund wertvoll. Das Bild der jeweils anderen Seite wird durch seine Erinnerungen wesentlich differenziert, deren Stärke gerade im Brückenschlag zwischen den beiden Welten liegt. Deutlich wird auch Ratschillers Außenseiterrolle in der Südtiroler Gesellschaft nach 1945. Wie andere Widerstandskämpfer, Wehrdienstverweigerer und Deserteure passt auch der Partisan Ratschiller schwer in die vom Vergessen und vom Schließen der nationalen Reihen geprägte Südtiroler Nachkriegsgesellschaft. Diese Autobiografie öffnet den Blick auf weitgehend unbekannte Aspekte der Kriegszeit und macht den Text daher zu einer wichtigen Quelle regionaler Zeitgeschichte.