Eine junge Frau kommt aus der Provinz nach New York, um einen Roman zu schreiben. Komplett auf sich allein gestellt, versucht sie den Alltag zu bewältigen. Dabei trifft sie naturgemäß auf allerhand Menschen, auch sehr skurrile. Großstadt eben. Und nicht irgendeine, sondern New York. In den ersten Wochen erkundet die junge Frau die Stadt, fährt Strassenbahn, hält sich lange in Buchhandlungen auf, schreibt Tagebuch. Ein Jahr hat sie sich gegeben, ein Jahr lang hat sie ein Stipendium für vergleichende Literaturwissenschaften an der Columbia University, in diesem Jahr muss ihr Debütroman fertiggestellt werden, muss aus ihr eine Schriftstellerin werden.
Abgelenkt wird sie von der Nachbarin im angrenzenden Appartement, deren nächtelanges Gemurmel sie wach hält und immer mehr beschäftigt, bis sie sich selbst mit dem Ohr an der Wand wiederfindet…
Siri Hustvedt ist unbestritten eine der intelligentesten Autorinnen der Gegenwart. Und es ist wohl in vielen Teilen ihre eigene Geschichte, die sie hier verarbeitet. Was diesen Text so besonders macht, ist der kluge Blick auf die Details eines weiblichen Lebens in der Großstadt, die ungeschriebenen Do’s und Don’ts für Frauen im öffentlichen Raum, die selbstverständlichen Erwartungen der Männer an gutaussehende Frauen und die genauso selbstverständliche Übergriffigkeit.
Gleichzeitig erlebt man das Werden einer jungen Schriftstellerin, die Prägung der Großstadt auf das Landei, die spürbare Erweiterung des Horizonts und der sich wandelnde Blick auf das Umfeld.
Hustvedt schreibt aus der Warte der gereiften Frau, blickt auf die 23jährige und ihre Vorstellungen und Träume zurück, nutzt Tagebucheinträge, um sich dieser jungen Frau anzunähern. Während Annie Ernaux beispielsweise mit kühlem Blick versucht das frühere Selbst zu sezieren, spielt Hustvedt mit Fiktion und Realität. Der Leser vermeint, die Geschichte der Autorin wiederzuerkennen, kann sich dessen aber nie sicher sein.
„Damals“ ist mein erster Roman von Siri Hustvedt. Und während die Kenner andere Werke bevorzugen, haben mich Schreibstil und Aufbau hier vollkommen überzeugt. Was die Vorfreude auf weitere Romane nur erhöht.
Eine Bemerkung am Rande, die mich aber umtreibt: Siri Hustvedt wird oft vorgeworfen, sie protze beim Schreiben zu sehr mit ihrem Wissen. Warum genau findet man das z.B. bei Umberto Eco charmant und bei einer Frau übertrieben? Und was genau spricht eigentlich dagegen, Wissen einfließen zu lassen, wenn man es denn schon hat?
Es sind Schriftstellerinnen wie Siri Hustvedt, die einen rein männlichen Literaturkanon zu einer verstaubten Lächerlichkeit machen.
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