Seit ich denken kann, liebe ich Fred Astaire-Filme. Ich kann stundenlang mit glänzenden Augen vor dem Fernseher sitzen und mir eine Tanzszene nach der nächsten ansehen. Und es ist mir normalerweise dabei gänzlich egal, wer seine Tanzpartnerin ist (wobei Ginger Rogers, Cyd Charisse und Rita Hayworth, in genau dieser Reihenfolge, mir durchaus lieber sind als die anderen, egal, wie gut sie tanzen). Und natürlich kenne ich auch „Daddy Long Legs“ und finde den Film ganz wunderbar und das, obwohl die grausliche Leslie Caron die Hauptrolle spielt. Jahaaa, richtig, „grauslich“ – ich mag sie überhaupt gar nicht. Dummerweise spielt sie in ein paar wirklich guten Tanzfilmen mit, man kommt also nicht drumherum. Aber wie gesagt, ich finde „Daddy Long Legs“ ganz wunderbar und das liegt unter anderem an der entzückenden Geschichte.
Irgendwann bin ich in der örtlichen Bücherei über den Roman von Jean Webster gestolpert, der die Vorlage zum Film darstellt, und habe ihn mir damals regelmäßig ausgeliehen. Wahrscheinlich hätte ich ihn auswendig mitsprechen können…
Tja, und dann bin ich erwachsen geworden – eine sehr dumme Idee im Übrigen, die ich inzwischen nach Leibeskräften umzukehren versuche – und habe Film und Buch bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Bis…
Bis ich in einer Buchhandlung die wirklich wunderschöne Ausgabe des Königskinder-Verlags entdeckt habe. An der Kasse teilte man mir dann mit, „es sei aber nur ein Kinderbuch, dafür allerdings ganz nett“. Wer im Zusammenhang mit Kinderbüchern „nur“ benutzt, der hat von der ganzen Sache wenig Ahnung, finde ich, habe aber schweigend bezahlt und meinen Schatz nach Hause getragen.
Selten findet man ein derart liebevoll gestaltetes Buch. Rosen, wo man hinblickt, auf dem Einband, dem Vorsatz, dem Schutzumschlag. Den ziert zusätzlich noch die Silhuette eines Herrn mit Zylinder, dem eine gewisse Ähnlichkeit zu Herrn Astaire nicht abzusprechen ist. Einen Inhalt gibt es auch, und der ist nicht zu vernachlässigen: Jean Webster hat einen federleichten Briefroman über ein junges Waisenmädchen geschrieben, das seinen Weg findet, fröhlich, keck, ehrlich und liebenswürdig. Der Roman zaubert dem Leser blitzschnell ein Lächeln ins Gesicht, obwohl bei genauerer Betrachtung gar nicht alles immer so zum Lächeln ist. Das sind Waisenhäuser nie, und um 1912 noch weniger.
„Lieber Daddy Long Legs“ ist also ein rundherum gelungenes Glücklich-Mach-Buch erster Güte, auch wenn es angeblich „nur“ ein Kinderbuch ist. Ist es genau genommen allerdings keineswegs, sondern ein ausgesprochen charmantes Buch für junge Damen, romantisch, durchaus klug und mit einer wirklich liebenswerten Protagonistin.
So. Und jetzt gehe ich frevelhafterweise fernsehen. Something’s gotta give…
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