Eleanor Oliphant hat sich ihr Leben konsequent nach rationalen Kriterien eingerichtet. Zu Beginn der Geschichte ist die Ich-Erzählerin in Gail Honeymans Debütroman fast 30, arbeitet seit neun Jahren als Debitorenbuchhalterin in einer Grafikdesign-Agentur in Glasgow, wohnt in einer funktionell eingerichteten Sozialwohnung und trägt praktische Kleidung und schwarze Schuhe mit Klettverschlüssen. Sie arbeitet effizient und lebt kostengünstig und vernünftig, nur am Freitag kauft sie eine Pizza Margherita, eine Flasche Chianti und zwei Flaschen Wodka, die sie sehr gleichmäßig über das Wochenende verteilt trinkt, ‚sodass ich nie ganz nüchtern, aber auch nicht betrunken bin. Bis Montag ist es lange hin.‘
Aber Eleanor Oliphant hat auch einen Universitätsabschluss in Altphilologie, Narben im Gesicht und eine Mutter, die sie zwar nie besucht, die aber pünktlich jeden Mittwochabend anruft. Dann lernt sie innerhalb kurzer Zeit drei Männer kennen: Johnnie Lomond, den Leadsänger einer Band, den sie sofort als Den Richtigen erkennt, Raymond, einen neuen Kollegen, der ihren Bürocomputer von einem Virus befreit, und Sammy, einen alten Mann, dem sie gemeinsam mit Raymond eher zufällig das Leben rettet. Langsam beginnt sie, ihr Leben zu ändern. Der erste Schritt dabei ist ein Brazilian Waxing, das sie nicht wirklich zufrieden stellt.
Meine Meinung: ‚Ach Gott, was für eine schreckliche Person, die interessiert mich gar nicht‘, dachte ich schon nach wenigen Minuten des Hörbuches, und damit ist über die Qualität des Romans schon viel gesagt: Mit einigen Absätzen ist es Gail Honeyman gelungen, in mir genau die beabsichtigten Gefühle und Eindrücke zu wecken. Kopfschüttelnd habe ich der schrulligen Eigenbrötlerin dabei zugeschaut, wie sie sich durch unmögliches Benehmen und schroffe Kommentare oder auch fast kindliche Naivität überall selbst ins Out manövriert. Dass sie ganz offensichtlich hochintelligent und sehr gebildet ist, hilft ihr nur wenig. Messerscharfer Verstand gepaart mit null sozialer Kompetenz war noch nie eine gute Kombination. Gleichzeitig fand ich Eleanors rationale Überlegungen und Beobachtungen zu allem und jedem, vom Trinkgeld-Geben bis zu Datingritualen und der Wahl der passenden Absatzhöhe, nicht nur unterhaltsam, sondern auch absolut zutreffend.
Natürlich besteht von Anfang an kein Zweifel daran, dass hinter Eleanors Schrulligkeit ein massives Trauma stecken muss, und die alptraumhaften Telefongespräche mit ihrer Mutter erinnern uns regelmäßig daran. Auch wenn das etwas konstruiert erscheinen mag, der Spannungsaufbau ist gelungen und sorgt dafür, dass man unbedingt weiterlesen möchte, um herausfinden, was denn damals passiert ist. Dabei kann man sicher sein, dass auch auf den nächsten Seiten wieder Begegnungen mit meist netten, wenn auch manchmal etwas überforderten Menschen sowie lustige Dialoge und Monologe der Ich-Erzählerin warten, aber auch der nächste Anruf von Mummy.
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