Wer dieses Buch nicht liest, verpasst eines der größten Talente deutscher Gegenwartsliteratur. Seit Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien von Frank Schulz ging kein Autor so virtuos mit Sprache um wie Ulf Erdmann Ziegler. Auch wenn das Feuilleton meint, Ziegler verstricke sich in Manierismen rund um eine langweilige Geschichte (ja, ja, das Feuilleton …), Hamburger Hochbahn hat den Deutschen Buchpreis 2007 verdient. Keine Diskussion.
„Gemieden hatte ich Eberhard, einen Jungen mit einem verwachsenen Arm. Nie auch nur angesehen hatte ich Dörte Peters, eine kurz geratene Puppe mit Kräuselhaaren, jünger als ich. Befremdlich gewesen war mir Hans-Jürgen, der Name schon Ausweis eines Hangs zum Ältlichen. Nur flüchtig gegrüßt hatte ich Udo Schott, dessen aschblondes Haar zu einer Matte gewachsen war, die er regelmäßig aus dem Gesicht warf, damit sie auf dem Kragen seiner Jeansjacke nahezu hörbar niederfiel. Und völlig vorbeigesehen hatte ich an seiner schweigsamen Schwester Isabella.“
Dass Dörte Peters einige Wochen später Tom Schwarz’ erstes Abenteuer wird, von dem er später sagen wird: „… wenige Sekunden und man konnte sich nicht mehr vorstellen, ohne das zu leben“, ahnt unser Held zu dieser Zeit noch nicht. Ebenso wenig, wie er sich vorstellen kann, dass Isabella, genannt Bella, ihm einige Jahre später ein Kind schenken wird. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn, auch das erkennt Tom erst, als seine Tochter Sandy eine junge Frau ist, nicht er ist der Vater, sondern sein Jugendfreund CPO, Claes Philip Osterkamp …
Die Geschichte des Tom Schwarz, unseres Helden der Hamburger Hochbahn, nimmt ihren physischen Anfang und ihr prosaisches Ende in Lüneburg. Der pubertierende Pennäler besucht das Schulzentrum am Oedemer Berg und lernt dort Dörte, Bella, CPO und all die anderen kennen.
Nach einem Jahr in Amerika studiert er Architektur. Vielleicht auch, weil er „zur Kunst keinen Mut hat und Physik auf die Dauer zu anstrengend findet“. Er bekommt einen Job in Hamburg und zeichnet sich fortan durch die Reihenhaussiedlungen Volksdorfs. (Schwarz’ Leben in der Hansestadt als Mittdreißiger nimmt den größten Erzählraum innerhalb des Buches ein.) Auf einer Städtebauplanungssitzung lernt er Elise kennen, eine junge Künstlerin. Mit ihr geht er nach Ohio, wo Elise eine zeitlich befristete Gastprofessur annimmt.
Entscheidend ist nicht die Handlung der Erzählung, obwohl sie typisch ist für die Generation der jetzt 40jährigen. Denn auch sie erzählt vom Großwerden, von der Jugend, von der Liebe, von besten und verlorenen Freunden. Und wie nebenbei verwoben gibt sie, wissend und unterhaltsam, Einblicke in die Architektur- und Kunstgeschichte einer Klein- und einiger Großstädte. Vor allem für Hamburgkenner ein großer Genuß! Nein, entscheidend ist die Sprache. Edgar Bracht von Lesart fasst treffend zusammen: „Das größte Verdienst des Autors ist es aber, daß er eine ästhetische Kategorie wieder erfahrbar macht, die dem falschen Authentizitätskult völlig entgegensteht: die der Eleganz. Vor allem in der ersten Hälfte seines Romans umwirbt er den Leser geradezu mit Sätzen, die Melodie und Rhythmus haben, mit gestochenen, zum Lautsprechen verführenden, funkelnden Formulierungen.“ Und in gewisser Weise hat dieser Stil auch einen erzieherischen Aspekt, denn er hebt den Anspruch an die eigene Schreiberei.
Ulf Erdmann Ziegler ist Jahrgang 1959 und lebt in Frankfurt am Main. Der Autor hat neben Aufsätzen zur Kunst und Gestaltung auch viele fotografische Arbeiten vorgelegt.
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