In Junger Mann erinnert sich ein wie Wolf Haas 1960 geborener Ich-Erzähler, der auch sonst so manches mit dem Autor gemeinsam hat, an den Sommer 1974. Der junge Mann verliebt sich bis über beide Ohren in die fast 10 Jahre ältere Elsa und beschließt, sein Übergewicht zu bekämpfen, um für seine Angebetete attraktiv genug zu werden und sie ihrem Ehemann auszuspannen. Er beginnt mit einer Diät, und es gelingt ihm tatsächlich, sich mit Elsa anzufreunden.
Meine Meinung: Jetzt hat er es schon wieder gemacht! Wolf Haas hat mich mit seinem neuesten Roman schon wieder nicht nur begeistert (das erwartet man von einem Lieblingsautor), sondern auch überrascht (deshalb bleibt er ein Lieblingsautor). Wieder begeistert hat mich, wie er in der ganz normalen Sprache ganz normaler Menschen kleine Kunstwerke formt, die er dann in rascher Abfolge als Pointen auf seine Leser*innen loslässt. Das liest sich dann so:
‚Mein Gesicht war so heiß, dass mir der Kaffee leidtat, als er sich an meinen Lippen verbrannte.‘ (S.43)
Wieder begeistert hat mich sein genauer Blick auf die scheinbar einfachen Tätigkeiten des täglichen Lebens:
‚Die Meisterschaft eines Tankwarts zeigte sich erst beim Wasserabziehen. Blieb ein Streifen zurück, war man blamiert für die Ewigkeit. Tröpfelte das abgestreifte Wasser über die Fensterkante auf den Lack hinaus, konnte man sich überhaupt heimgeigen lassen.‚ (S. 9)
Und auch nicht zum ersten Mal nostalgische Begeisterung empfinde ich, wenn er Triviales des Alltagslebens aus der Vergessenheit auf die literarische Bühne hebt, wie das ‚Abnehmen mit Wir‘-Programm einer TV-Magazinsendung der 70er-Jahre oder die staatlich verordneten autofreien Tage während der Ölkrise.
Überrascht hat mich Wolf Haas schon oft. Überraschung Nr. 1 war der erste Brenner-Krimi (so ganz anders als alles andere und einfach genial), Überraschung Nr. 2 das Interview in Das Wetter vor 15 Jahren (Zitat vom Klappentext: ‚Haas hat gewagt, was keiner vor ihm wagte. Und er hat gewonnen.‚), Verteidigung der Missionarsstellung brachte mit jedem Umblättern eine neue Überraschung. Und jetzt Junger Mann: Kein skurriler Mord mit noch skurrilerer Aufklärung, kein literarisches Experiment, statt dessen die Geschichte des (fast) ganz normalen Erwachsenwerdens eines (fast) ganz normalen Jungen, erzählt in (fast) ganz normaler Alltagssprache. Und bei genauerer Betrachtung dann doch (fast) ein Märchen. Lesen!
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