„Das Jahr magischen Denkens“ beginnt damit, dass John Gregory Dunne, der Mann, mit dem die Journalistin und Autorin Joan Didion seit 40 Jahren verheiratet ist, in der gemeinsamen Wohnung stirbt. Schon seit längerer Zeit hat er mit Herzproblemen gekämpft; dennoch fühlt sich die Autorin von seinem Tod komplett überrascht und aus der Bahn geworfen. In dem Buch beschreibt sie, wie aus dieser Erschütterung im Jahr danach nur sehr zögernd Akzeptanz wird.
Zunächst einmal lese ich sehr persönliche, direkte und dadurch eindringliche Schilderungen ihrer Trauer. Es sind Beschreibungen grotesker und hilfloser (aber letztlich vielen Trauernden vertrauter) Gedanken und Darstellungen des langen Weges zum allmählichen Loslassen. Ich bekomme die Wellen des Schmerzes beschrieben, die mir noch plastischer werden, wenn Didion anhand von Anekdoten illustriert, wie nah sich die beiden standen, wie symbiotisch und aufrichtig ihre Beziehung war.
Dieses Buch kann aber anhand der konkreten Geschichte auch große Fragen für solche Leser aufwerfen, die selbst noch nie die Erfahrung des Todes geliebter Menschen machen mussten. Denn es ist auch eine ganz allgemeine Aufwerfung der Frage, warum die westliche Gesellschaft den Tod derart tabuisiert, warum im Zusammenhang damit so oft „Tapferkeit“ und möglichst stilles (und schnell überwundenes) Leiden der Hinterbliebenen gelobt wird.
Die Lektüre dieses Buches könnte also sowohl Trost, Unterstützung und Anregungen für Trauernde bieten, als auch zu genereller Auseinandersetzung mit dem möglichen Tod nahestehender Menschen ermuntern. Letzteres führt im Idealfall zu ganz bewusstem Erleben dieser Beziehungen und mündet in besonderer Lebensfreude, Zuversicht und Wertschätzung kleiner und größerer Glücksmomente.
Bin ich jetzt schon in die Falle getappt und ein wenig zu pathetisch geworden? Joan Didion ist das in diesem Buch jedenfalls nicht passiert. Obwohl derart persönliche Literatur ja sehr schnell auch einen über-sentimentalen Pathos-Haken bekommen kann. Aber die Autorin schafft mit einer gewissen Nüchternheit und Ehrlichkeit, dass das Buch nie zu peinlicher Selbstmitleidsliteratur wird.
Auch zeigt „Das Jahr magischen Denkens“, wie die hoch gebildete Denkerin Joan Didion ihren Weg aus der Krise ganz selbstverständlich über die intellektuelle Auseinandersetzung (Was genau ist dem Sterbenden passiert? – Was genau passiert gerade mit mir? Was sagen Poesie und Fachliteratur, was C.S.Lewis und Freud dazu?) geht, wie sie Analysen sucht und Gleichnisse. Und wie sehr ihr dieses Forschen und Denken eine Unterstützung beim „Überleben“ ist, wenn auch nicht das Allheilmittel.
(Rezensentin: Janina Naster)
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