Eigentlich dachte ich, Volker Kutscher hätte mit dem Nassen Fisch einen typischen Regionalroman a la Rita Falk eben nur für Berlin geschrieben. Also habe ich zu Beginn meines Berlinaufenthalts zugeschlagen, um hier etwas heimisch zu werden und die Stadt auch im Buch kennen zu lernen.
So lernte ich den Polizisten Gereon Rath kennen, der aus Köln nach Berlin versetzt werden und sich – genau wie ich – in der Stadt einleben muss. Er allerdings schon ab dem Jahr 1929. Das war außerordentlich spannend: Kutscher beschreibt das Berlin dieser Zeit so gut, dass der Leser die Orte des Geschehens nachvollziehen kann, auch wenn sich natürlich Bezeichnungen und Benennungen verändert haben. Das half mir als Neuankömmling tatsächlich ein wenig, in der Stadt anzukommen.
Und auch Rath als Neuankömmling lernt neue Leute und Regeln kennen und muss sich dem neuen Umfeld anpassen. – Dabei verhält er sich allerdings zum Teil so dickköpfig, dass er sich auf der falschen Seite Freunde macht und bei den Berliner Ringvereinen, den damaligen Berliner Kriminalitätsgangs, Zugang findet. Da fällt hier und da die Abgrenzung zwischen Beruf und Freizeit nicht ganz leicht. Ein Konflikt, den Kutscher behutsam aufbaut und für die beruflichen Erfolge und Rückschläge Raths nutzt. Auch das macht Spass zu lesen und hilft dabei, den Charakter des Hauptprotagonisten nicht zu einseitig werden zu lassen. Eher ganz im Gegenteil.
Spektakulär allerdings ist der Ansatz Kutschers, seine Reihe vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in Berlin und ganz Deutschlands zu platzieren: von Band zu Band wird der politische Kampf zwischen Rechts und Links und den Erfolgen der Nationalsozialisten auf der Straße, in der Verwaltung inklusive der Polizeiführung und schließlich im gesamten Staat dargestellt und beschrieben, welche Auswirkungen auf das normale Leben diese Entwicklung allmählich wachsend hatte.
Kutscher bietet also nicht nur Krimistoff und Stadtbeschreibung, sondern schaut auch auf die gesellschaftliche Entwicklung. Und dies nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern quasi dokumentarisch. Das ist so gut gelungen, dass die Vorfreude auf den nächsten Band beim Ende des aktuellen groß ist.
Wenn man zwingend negative Kritik üben will, dann am ehesten folgende: Kutscher operiert damit, historische Persönlichkeiten in seinen Büchern einzubauen, zum Teil an zentralen Stellen. So ist der Chef Raths niemand anders als Ernst Gennat, Spitzname Buddha, der die Kriminalitätsarbeit in Deutschland offenbar nachhaltig modernisierte. Konrad Adenauer ist ein Freund der Kölner Familie Raths und taucht hier und dort immer mal wieder auf. Das ist interessant und lustig. Gern wüsste der Leser allerdings, ob die beschriebenen Gegebenheiten der echten Personen vollkommen fiktiv sind. Ein Hinweis im Nachwort dazu wäre ein schöner Service des Autors.
Ich kannte Kutscher gar nicht, aber muss den unbedingt mal lesen – und meinen Krimi-Freunden weiterempfehlen.