„Lied der Weite“ ist eines von sechs Büchern, die der Autor Kent Haruf in Holt/Colorado spielen lässt. Holt ist eine fiktive Kleinstadt, steht aber Pate für alle kleinen Städtchen im ländlichen Amerika. Man kennt sich, mehr oder weniger, schätzt sich, mehr oder weniger, und kümmert sich ansonsten hauptsächlich um den eigenen Kram. Die Menschen sind nicht sonderlich mitteilsam, leben nebeneinander her und besprechen nur das Nötigste. Ein sehr amerikanisches Buch mit versteckter Trapper-Mentalität.
Personal haben wir gar nicht mal so wenig: da wäre Guthrie, Lehrer an der örtlichen Schule, mit zwei Söhnen und gescheiterter Ehe. Maggie, seine Kollegin, die mit ihrem etwas wirren Vater zusammenlebt. Victoria, siebzehn und schwanger. Die Brüder McPheron, Viehzüchter und knorrige Eichen. Diverse unliebsame Personen und Raufbolde, weitere Lehrer, Bewohner des Städchens natürlich und die wunderbare Iva Stearns. Ihre Lebenswege kreuzen sich dank Haruf, verknüpfen sich und rufen damit manchmal ungewöhnliche Veränderungen hervor, zwingen Menschen, alte Pfade zu verlassen und sich für Neues zu öffnen. Das scheint das Hauptthema des Romans zu sein: alte Pfade zu verlassen, andere Wege zuzulassen.
In der Grundidee sicherlich sehr spannend, fehlt mir trotzdem der Zugang zu den Charakteren. Ich lese die Ereignisse seltsam unberührt. Es sind alltägliche Ereignisse, schon in unzähligen Büchern behandelt. Nun muss man das Rad nicht jedes Mal neu erfinden und manchmal ist es gerade der Alltag, der ein Buch berührend macht, hier aber ist der Verlauf meistenteils vorhersehbar und die lakonische Schreibweise schafft Abstand, zuviel Abstand für mich. Einzig die oben erwähnte Mrs Stearns, eine alte Dame, zaubert mir zuverlässig ein Lächeln ins Gesicht.
Vielleicht muss man die Bücher ja insgesamt gelesen haben, muss man vertrauter werden mit dem Menschenschlag, der Holt bewohnt. So ist dieser Band sicherlich eine gelungene Filmvorlage, enthält er doch alles, was man dafür so braucht, Herzschmerz, große Probleme, kranke Mütter, sterbende Pferde, schweigsame Viehzüchter, aber als alleinstehender Roman scheint er mir trotzdem ein wenig leblos. Schade.
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