Pipa Goldschmidt, Von der Notwendigkeit, den Weltraum zu ordnen

Von der Notwendigkeit besprochen von Hauke Harder am 21. März 2018.

Bewertung: 5 Sterne

Es fällt sehr schwer, sich dem Sog des ganzen Buches und jeder einzelnen Erzählung zu entziehen, denn jede Story ist für sich ein ganzer Leseschatz. Die Texte leben von der Sprache, die gleich der Wissenschaft, besonders der Naturwissenschaft, versucht, das Leben zu erfassen. Denn jede Gleichung ist lediglich ein Versuch, das Universum, die Welt oder das Leben annähernd verständlicher zu machen. Das hat die Literatur mit der Naturwissenschaft gemeinsam, sie ist ein Versuch die Welt zu erklären. Wir Menschen sind immer noch auf der Suche nach der Frucht der Erkenntnis und hoffen, dieser mit Bildern, Formeln und Sprache näher zu kommen. Pippa Goldschmidt gelingt es, komplexe Themen wie die Relativitätstheorie, Antisemitismus, Feminismus und den wissenschaftlichen Alltag in ihre brillanten, surrealen, humorvollen und literarischen Geschichten zu verpacken. Die Texte unterhalten auf großartigem Niveau und man ertappt sich sehr oft dabei, dass man Sätze unterstreichen möchte und  nach bestimmten Formulierungen innehält und das Gelesene nachklingen lassen möchte.

Die Geschichten kreisen stets um die Naturwissenschaften. Man benötigt aber kein besonderes Verständnis oder Vorkenntnisse, um die Texte gänzlich verstehen zu können. Die Erzählungen sind alle klug, verständlich und literarisch und verlangen vom Leser lediglich sich auf die Geschichte einzulassen. Wenn man dazu bereit ist, ist ein großer Lesespaß garantiert.

Der Blick nach außen, ins All, in die kleinste Zelle oder der Versuch, die Neutrinos sichtbar zu machen, ist immer auch der Blick auf das eigene Leben. Hier greift die Relativität. Ordnung und Chaos kippen mit der Sichtweise: Natur kann aus menschlicher Sicht Chaos sein. Aber es ist der Mensch, der meist Chaos in der Natur verursacht. So kreisen die Geschichten um Menschen, die jeder für sich in ihrem eigenen Universum leben. Es gibt dann Überschneidungen innerhalb der Lebenskreise. Diese Schwellenorte sucht Pippa Goldschmidt auf und macht uns, ihren Lesern, die Welt etwas verständlicher.

Die Geschichten sind teilweise paradox, sogar Science-Fiction oder skurril. Auch bekannte Persönlichkeiten tauchen auf. Unter anderen Robert Oppenheimer, der vor seinen eigentlichen Entdeckungen erkennen muss, dass der experimentelle Physiker ein Hansdampf ist. In einer Forschungsstation wird versucht Neutrinos nachzuweisen. Diese subatomaren Partikel huschen durch unser Leben, direkt durch uns durch, ohne zu interagieren. Ganz anders diese Geschichten, die alle etwas im Leser hinterlassen werden. Wir haben es solcher Literatur mit zu verdanken, dass wir nicht nur eine Masse sind, sondern wir fangen mit solchen Büchern einen Funken, der die nicht nachweisbare, aber vorhandene Seele berührt.

Vielleicht wirkt Mathematik wirklich für einige Beschreibungen einfacher, weil uns Menschen ab und zu die richtigen Wörter fehlen. Doch Pippa Goldschmidt hat die richtige Sprache  gefunden und tolle Geschichten um ihre politische, wissenschaftliche und menschliche Weltsicht herum geschrieben. Mit diesem Buch hat man das Gefühl, man nascht beim Lesen vom Baum der Erkenntnis.

Danke an Zoë Beck und Jan Karsten, dass ich das Buch vor Drucklegung lesen durfte und im Klappentext zitiert werde.

Zuerst veröffentlich im leseschatz.

 

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