Grégoire Morvan hat in den 70er Jahren während der Zeit seiner Strafversetzung im Kongo einen brutalen Serienmörder, den Nagelmann, aufgespürt und hinter Schloss und Riegel gebracht. Dadurch hat er sowohl großes Ansehen als auch Reichtum erworben, der seiner Familie heute ein sorgenfreies und unbeschwertes Leben ermöglicht. Aber Grégoire Morvan ist auch ein Patriarch wie er im Buche steht und jeder hat nach seiner Pfeife zu tanzen (was bedauernswerterweise auch alle tun). Die fast tyrannische Herrschaft des Familienvaters hat Spuren hinterlassen: Der jüngste Sohn ist drogenabhängig, die Tochter eine Prostituierte und der Älteste Erwan lässt gern die Fäuste sprechen anstatt Diplomatie einzusetzen. Als die zersprengte Leiche eines jungen Offizieranwärters in einem Bunker auf dem Gelände einer Militärflugschule gefunden wird, soll Erwan dort „Schadensbegrenzung“ betreiben. Dabei kommt ein Fall zu Tage, der Grégoire Morvans sorgfältig aufgebaute Ordnung kräftig durchrüttelt…
Von Beginn an war ich mir unsicher, was für eine Art Geschichte mich erwartet: Ein Krimi? Ein Thriller, wie es auf dem Einband steht? Ein Familiendrama? Nach dem Lesen kann ich sagen, es ist mehr Krimi als Thriller, und auch mehr Familiendrama als Krimi. Die Geschichte beginnt mit einem Einblick in die Familie Morvan. Die Charaktere sind authentisch gezeichnet, keinesfalls oberflächlich. Jeder hat seine eigenen Macken und Päckchen zu tragen. Die größten Geheimnisse allerdings hat der alte Morvan und ich hätte zu gern erlebt, wie ihm das Handwerk gelegt wird. Diese Genugtuung hat der Autor mir allerdings verweigert.
Man erlebt es oft, dass die Meinungen bei einem Buch stark auseinander gehen können. So ergeht es mir mit Purpurne Rache. Auf der einen Seite haben wir diesen großartigen und spannenden Fall, der – auf der anderen Seite – durch das Drama der Familienmitglieder teilweise stark in den Hintergrund gedrängt wird. Erwan ist der Leiter des Ermittlungsteams und ist fast nur damit beschäftigt im Auftrag seines Vaters seinen jüngeren Geschwister hinterher zu rennen. Zusätzlich dazu erhalten der alte Morvan, Loic (der Bruder) und Gaelle (die Schwester) zahlreiche extra Kapitel, die sich mit ihren Lebenskrisen befassen. Das war durchaus interessant, aber nicht zielführend für die Mordermittlung. Es scheint, als hätte sich Grangé nicht entscheiden wollen, worauf er seinen Roman fokussieren möchte: Auf den Kriminalfall oder auf den Morvan-Clan.
Das hatte zur Folge, dass sich für mich die Kapitel, bei denen es ausschließlich um die Familienmitglieder ging, zunehmend gezogen haben wie Kaugummi, denn wirklich weiterentwickelt haben sich die Figuren nicht. Am Ende blieben so viele Fragen unbeantwortet und die spannendsten Geheimnisse im Dunkel. Der letzte Abschnitt lässt zudem vermuten, dass ein zweiter Band folgen könnte.
Fazit: Im Grunde hat Purpurne Rache alles, was einen guten Kriminalroman ausmacht: Einen leitenden Kommissar mit Ecken und Kanten, der auf keinen Fall perfekt ist, einen interessanten und spannenden Fall, schöne und unerwartete Wendungen… Nur zu viele Seiten, die nichts für die Charaktere und die Handlung getan haben. Mit 300 Seiten weniger hätte Purpurne Rache ein atmosphärisch dichter Krimi werden können, der Familie und Fall verbunden hätte und sie nicht wie zwei Romane in einem aussehen lassen.
3 von 5 Sternen
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