„Shylock“ ist ein Band des Hogarth Shakespeare Projects, innerhalb dessen namhafte Autoren Shakespeare-Stücke neu interpretieren.
„Der Kaufmann von Venedig“ – keines von Shakespeares leicht zu fassenden Werken. Zu schablonenhaft allen Vorurteilen entsprechend ist die Figur des Shylock, des Geldverleihers und Zinsschacherers, zu hart geht er mit ihm ins Gericht. Und was treibt den jüdischen Schriftsteller Jacobson um, ausgerechnet dieses Stück zu wählen, wo es doch sicherlich einige andere Möglichkeiten gegeben hätte?
Wenn man alle Neben- und sonstigen Stränge beiseite lässt, geht es in Jacobsons Roman um Simon Strulovitch, der verhindern möchte, dass seine Tochter Beatrice einen Nicht-Juden heiratet. Unerwarteten Beistand erhält er von Shylock, dem er auf einem Friedhof begegnet.
Ein Buch über die jüdische Kultur und Weltsicht, zur Abwechslung mal von einem Juden geschrieben. Es geht um die Sicht der Christen auf das Judentum, um jüdischen Humor, um Traditionen und ihren Wert in der heutigen Zeit und um Selbstpositionierung zwischen alter und neuer Welt. Shylock ist dabei der zu Fleisch gewordene Geist des alten Judentums, im ständigen Zwiegespräch mit seiner verstorbenen Frau Leah; Shylock, der den Verlust seiner Tochter betrauert, ihren Verrat, und den kurzen Moment bereut, in dem er einmal ebenbürtig war, einmal Macht über die hatte, die ihn wegen seines Jüdisch Seins verachteten.
Strulovitch dagegen ist reicher und unabhängiger Kunsthändler, der nicht im Jüdisch Sein verhaftet sein möchte, aber zunehmend feststellt, dass es trotzdem so ist. Der darunter gelitten hat, dass sein Vater ihn verstoßen hat wegen der Heirat mit einer Nichtjüdin und trotzdem in Erwägung zieht, dasselbe seiner Tochter anzutun.
Jacobson zeigt uns den „Kaufmann von Venedig“ aus jüdischer Sicht, gibt dem Handeln Shylocks einen Sinn, gibt der Schablone einen Charakter. Und er beweist anhand von Strulovitch, wie sehr diese Schablonen auch heute noch greifen, wie die eigene Herkunft die Sicht der Anderen beeinflusst.
Für mich ist dieser Band der Hogarth Shakespeare Reihe der bisher anspruchvollste, aber auch der anstrengendste. Ein Band, in den man sich einlesen muss, dessen Inhalt dem Leser nicht einfach zufliegt. Ein Roman, der nachhallt und die eigenen Ansichten überdenken lässt, so man sich ihm denn öffnet. Das Buch eines offensichtlich sehr klugen und weltoffenen Menschen, der sich seiner Wurzeln sehr bewusst zu sein scheint und sich daran auch abarbeitet. Und eines Menschen, der versteht, dass Heimat da ist, wo man dieselbe Sorte Humor teilt…
Ich danke dem Knaus Verlag sehr herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.
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