Vier Stunden Zugfahrt von Hamburg nach Frankfurt und eine drangehängte Lesepause im Café – und schon war das eisige Abenteuer der französischen Autorin mitgelitten. Eine Geschichte, die mich so gefesselt hat, dass ich nicht aufhören wollte…
Die französische Autorin erwähne ich gleich anfangs, weil einerseits der Roman eine tiefgründige Komponente hat, die ich in vielen französischen Romanen finde und weil sie dank eigener Segelabenteuer prädestiniert ist, über eine solche Reise zu schreiben. So obstrus und konstruiert die Geschichte – siehe Kladdentext – also klingen mag, es muss viel Wahres an den intensiven Erfahrungen dran sein, über die sie uns eindringlich berichtet.
Die Erlebnisse des Hauptfiguren-Pärchens sind gefährlich, existentiell und eine Angst auslösend, von der man sich nicht beherrschen lassen darf. Das ist die fundamentale Erfahrung, die die jungen Pariser Lousie und Ludovic gestrandet auf einer unbewohnten Insel im Eis machen. Wer Angst hat und sie Herr über das eigene Denken und Fühlen werden lässt, gibt auf, kapituliert und scheitert. Das ist in Kürze die Quintessenz der Extremerfahrung.
Wer in der Geschichte scheitert und woran, werde ich in einer Besprechung zu einem 168 Seiten Büchlein aber nicht erörtern – sonst lohnt sch für euch das Lesen ja nicht mehr. Aber die Herausforderungen dürft ihr kennen:
Einerseits geht es darum, wie man als der Zivislation entrissene Kreatur eine Robinsonade erlebt: Wie beherrscht man die Kälte, wie den Hunger, welches ist die richtige Entscheidung, um Hilfe zu finden und zu überleben? Die Autorin lässt ihre Figuren reflektieren, wie weit sie von unseren menschlichen Urinstinkten entfernt sind. Das zwingt die beiden dazu, Ratio walten lassen zu müssen, wo instinktives Verhalten so einfach hätte sein können.
Der zweite, nicht minder existentielle Themenbereich ist die Frage, wie sich das Paar als Paar im Überlebenskampf bewährt. Louise und Ludovic begegnen uns als ein Liebespaar von ungleichen Partnern, die sich im Alltag jedoch hervorragend ergänzen. Ihr Miteinander wirkt zwar nicht immer leicht – sonst wäre die Entscheidung zum gemeinsamen Abenteuer nicht so langwierig gewesen, aber der Eindruck einer glücklichen Beziehung wird am Anfang der Erzählung über das Gelingen des gemeinsamen Segelns als funktionierende Basis gezeichnet. Die beiden können sich aufeinander verlassen und gemeinsam ihr Abenteuer genießen. Alles ist recht gut, bis es zum Stranden auf der eisigen Insel kommt. Hier glänzt jeder von beiden mit seinen Qualitäten: Geradlinigkeit versus Leichtigkeit – beides ist von Nöten. Doch gibt es Entscheidungen, die nicht beide gleichermaßen tragen können.
Isabelle Autissie behandelt beide Problemkreise mit großer Einfühlsamkeit, ohne jemals plump zu wirken. Und obwohl der Roman und seine Beziehungsgeschichte ein Abenteuerroman-Ambiente haben, bleibt auch das Beziehungsthema relevant. Die Liebe von Louise und Ludovic lässt sich auch ohne Kälte und Hunger denken… Besonders, wenn man die unterschiedlichen familiären Hintergründe, die unterschiedlichen Erwartungen, die beide aus ihrer Kindheit mitgenommen haben, bedenkt. Ludovic wurde alles gegeben und soll das Leben genießen. Louise fühlte sich als „Kleine“ immer übersehen. Immer. Bis sie Ludovic traf.
All diese Details offeriert uns die Autorin teils im ersten Erzählabschnitt über das Erlebnis im Eis, teils aber auch in Teil zwei. Über den vieles zu verraten, würde die Spannung nehmen. Deshalb schließe ich mit dem Rat: Begibt euch auf die Reise. Verfolgt dieses spannende Abenteuer mit und genießt die ohne zu viel Umstände und Abschweifungen erzählte Beziehungs- und Überlebensgeschichte. Ich bin sicher, mich wird sie nicht so schnell loslassen.
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