Ich bin sprachlos, was recht selten passiert. Wie schreibe ich über dieses Buch? Es ist völlig verrückt, es ist genial, ich bin schockverliebt? Ja, das trifft es am ehesten. Hiermit stelle ich mein Jahreshighlight 2018 vor, denn hiernach kann nichts Vergleichbares mehr kommen.
Aber von vorn. Bei Durchsicht der Vorschau fiel mir dieses Buch auf: „Fascaray“. Das klang gut, abgelegene schottische Insel, Nationaldichter, Identitätssuche waren die Stichworte, also habe ich mir das Ganze notiert. Und dann erschien es nicht. Für Mai war es angekündigt, jetzt im August ist es erst soweit, mit dem Warten wurde ich immer gespannter. Und dann kam der Tag, an dem der Postmann mir ein Diogenes-Päckchen in die Hand drückte, und heraus kam… ein Ziegelstein von einem Buch. Mit hauchdünnen Seiten. 951 Seiten, um genau zu sein.
Auf diesen 951 Seiten erzählt Annalena McAfee die Geschichte des fiktiven Eilands Fascaray, des fiktiven Dichters Grigor McWatt und die von Mhairi McPhail, die beauftragt wurde, ein McWatt-Museum auf der Insel aufzubauen. Das gelingt ihr derart phantastisch, dass ich erst einmal irritiert nach einer schottischen Insel namens Fascaray gesucht habe. Der Leser findet in diesem Buch Ausschnitte aus dem McWatt-Kompendium, einer Art Tagebuch, Teile von McWatts Werk in Deutsch und Schottisch, Kochrezepte, Bücherlisten, Ausschnitte aus Mhairis Arbeit über den Dichter, kurz eine komplette eigene Welt mitsamt Pflanzen- und Tierlisten. Überhaupt diese Listen mit schottischen Ausdrücken zur Wetterlage, zur Flora und Fauna, grandios!
Zugegeben, man muss ein wenig irre sein, um sich durch all das durchzuarbeiten, man muss Schottland mögen, es hilft zumindest, und die schottische Sprache. Das trifft bei mir alles zu, daher bin ich selig in diesem Buch verschwunden und mit rollendem R und Rachen-Ch wieder hervorgekommen.
Aber dieses Buch ist nicht nur eine Liebeserklärung an Schottland, es wirft auch die Frage auf, was Heimat ist und was die eigene Identität eigentlich ausmacht. Macht einen ein unbekannter Urgroßvater zum Schotten oder doch auch die Liebe zur Kultur?
Und so ist „Zurück nach Fascaray“ für mich ein unglaublich intelligentes, liebevolles und vollkommen verrücktes Projekt, ein Roman, bei dem ich jede seiner 951 Seiten geliebt habe. Zum Abschluß möchte ich mich noch bei Christiane Bergfeld für die wunderbare Übersetzung bedanken, denn das ist bestimmt kein Spaziergang gewesen.
Und ein kleiner Tipp am Rande: Wer ein wenig sucht, kann im Internet eine Aufnahme des Liedes finden, mit dem Grigor McWatt berühmt geworden ist : Hame tae Fascaray. Den Background bilden Annalena McAfees Sohn und ihr Mann Ian McEwan.
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